Die deutsche Filmmusiklandschaft tut sich auch im Jahr 2004 immer noch schwer. Zu oft wird unterschätzt,
wie viel eine gute Vertonung zum Gelingen eines Filmes beitragen kann. So ist das Budget für die Musik meist klein
und nur wenige Komponisten bekommen, die Gelegenheit kontinuierlich zu arbeiten. Damit fehlt ihnen die Chance,
sich kreativ weiter zu entwickeln. Immerhin gab es aber vergangenes Jahr mit Marcel Barsottis
Wunder von Bern
und Enjott Schneiders
Schwabenkinder zumindest zwei kleine Lichtblicke.
Dieser durchaus positive Trend scheint sich nun mit der Musik zum Liebesdrama mit dem kuriosen Titel
Erbsen auf halb 6
fortzusetzen. Im tragikomischen Film von Lars Büchel (
Jetzt oder nie) geht es um einen erfolgreichen
Theaterregisseur, der bei einem Verkehrsunfall sein Augenlicht verliert und in Depressionen verfällt.
Die Begegnung mit der seit ihrer Geburt blinden Lilly (Fritzi Haberlandt) und die gemeinsame Reise quer durch Europa
bringt die Wende und führt zu einer ungewöhnlichen Liebesgeschichte.
Die Musik wurde wie schon bei Büchels Kinoerfolg Jetzt oder nie vom Trio Max Berghaus, Dirk Reichardt und
Stefan Hansen komponiert, alle drei Schul- bzw. Jugendfreunde des Regisseurs. Ihnen ist ein einfühlsamer,
meist ruhig-melancholischer Score gelungen, der der Reise des Paares die passenden musikalischen Stimmungsbilder
verleiht. Erwartungsgemäß stehen Streicher und Klavier im Mittelpunkt. Zu Minimalismen tendierende Streichermotive
mit reizvollen Cellosoli und gelegentliche Klavieretüden geben der Musik eine intime, zurückhaltende Grundstimmung.
Akkordeon, Gitarre und von elektronischen Beats bzw. Schlagwerk erzeugte Rhythmik durchbrechen die Melancholie und
erzeugen ein leichtes Weltmusikflair. Dazu tritt in manchen Stücken ein entrückt klingender Knabensopran.
Besonders schön und ansprechend sind den Komponisten die konzertant wirkenden Klavierstücke gelungen.
Der Einsatz von Akkordeon und Rhythmik fällt dem gegenüber zwar etwas ab, hat aber als Kontrast eine wichtige
Funktion. Der Umgang mit dem Orchester ist über weite Strecken einfach, aber dennoch effektvoll gehalten.
Insgesamt ist Erbsen auf halb 6 eine überraschend überzeugende und gut fließende Filmmusik geworden,
die stilistisch wie qualitativ nicht weit von den Arbeiten Marcel Barsottis entfernt steht. So stellen sich mit
Max Berghaus, Dirk Reichardt und Stefan Hansen (die Form ihrer gegenseitigen Zusammenarbeit bleibt unklar) drei
neue Talente vor, von denen man ähnlich Niki Reiser und Marcel Barsotti gerne mehr hören möchte.
Den netten Schlusspunkt der Soundtrack-CD des Strange Way-Labels setzt das Hamburger Duo Wolfsheim mit einer
neu arrangierten Version ihres Liedes "Blind". (mr)
Strange Ways/Indigo 4164-2
Radio Philharmonie Warschau & Hamburger Knabenchor
Dirigent: Manfred Honetschläger
49:43 Min.
Filminfo:
Regie: Lars Büchel
Darsteller: Fritzi Haberlandt
Tracklist:
- Intro (3:30)
- Gehen lernen (1:48)
- Foto der Mutter (0:47)
- Der Sprung (2:31)
- Aufbruch (2:28)
- Im Rapsfeld (2:56)
- Im Regen (1:42)
- Abschied (1:43)
- Was ist Nebel? (1:47)
- Lieben lernen (3:47)
- Trennung im Regen (2:29)
- Franziskas Fest (2:16)
- Du bist cool Mann! (1:55)
- Auf getrennten Wegen 1 (1:23)
- Auf getrennten Wegen 2 (1:07)
- Tod (4:05)
- Hochzeit auf Russisch (2:42)
- Finale (4:14)
- Letim, Letim (2:09)
- Blind (4:00)
performed by Wolfsheim