Nur wenige Jahre nach dem Erfolg der
Herr der Ringe-Trilogie steckt das
Fantasy-Kino in einer Krise. Die meisten - in aller Regel auf mehrere Teile angelegten - Nachzügler im Fahrwasser der Tolkien-Verfilmung konnten den kommerziellen
Erwartungen der Studios nicht entsprechen. Dies gilt in vorderster Front vor allem für das Drachenspektakel
Eragon
und nun auch
Der goldene Kompass, deren Misserfolg eine filmische Fortsetzung der Geschichte sehr unwahrscheinlich
erscheinen lässt - und das im letzteren Fall trotz imposanter Starbesetzung mit Nicole Kidman, Eva Green und Daniel Craig.
Ob das Publikum diese Art von Fantasy-Kino langsam satt hat oder der Film selber einfach zu bunt und verspielt daherkommt,
bleibt dabei offen. So schlecht wie sein Ruf ist der effektverliebte Streifen jedenfalls nicht. Chris Weitz (
American Pie)
hat den Bestseller von Philip Pullman nämlich durchaus farbenprächtig und unterhaltsam inszeniert. Zentrale Schwächen
bleiben jedoch, dass einige düstere Elemente der Vorlage in typischer Hollywood-Manier zugunsten des anvisierten
Familienpublikums geglättet wurden und der Film kurioserweise früher endet als es das Buch tut.
Aus filmmusikalischer Sicht ist das ein wenig schade, denn The golden Compass - so der Originaltitel des Filmes
(das erste Buch wurde unter "His dark Materials - I. Northern Lights" veröffentlicht) besitzt eine Vertonung, die
eine Fortsetzung verdient hätte. Alexandre Desplat begleitet die Abenteuer der rothaarigen Lyra nämlich mit einer
luftigen, immer wieder in transparente Klangfarben getauchten Orchestermusik, die durch ihre farbige Instrumentierung,
aber auch eine ausgewogene Musikdramaturgie glänzt und sich damit angenehm von den Fantasy-Vertonungen der letzten Jahre abhebt.
Behutsam nähert sich der Franzose der versponnenen Geschichte und ihren Figuren, indem er mit lyrischen Streichermelodien
und feinen Scherzi eine reizvolle märchenhafte Atmosphäre erzeugt. Ungewöhnlich für einschlägige Genremusiken
verzichtet er bis auf wenige Stücke komplett auf den üblichen Orchesterbombast und die kreischenden,
das Schicksal beschwörende, Chöre. Derartige Überwältigungsstrategien hat Desplat nicht nötig. Er setzt stattdessen
auf eine ausgefeilte, filigrane Orchestrierung. Ob nun Harfe, Klavier, Mandoline, Cembalo oder ein ganzes Arsenal
ethnischer Instrumente: Reizvoll verbindet er die für ihn typischen repetiven Klangstrukturen mit einer üppigen Sinfonik,
wie man sie von ihm bislang in dieser Form bislang selten bis gar nicht gehört hat.
Die besondere Qualität von The Golden Compass liegt aber nicht zuletzt in der schönen leitmotivischen Konzeption,
die vor allem mit mehrmaligen Hören eine Vielzahl kleiner thematischer und motivischer Einfälle offenbart.
So gibt es zum Beispiel mysteriös anmutende Themen für die mondäne Mrs. Coulter und die seltsame Staub-Materie, ein fröhliches
Scherzo für die Kinder, ein melancholisches Thema für die "entführten Kinder" und viele andere kleine Motive, die viel zum
Abwechslungsreichtum und damit auch zum Unterhaltungswert der Vertonung beitragen. Leider droht diese
stilistisch mitunter etwas auszufransen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass Desplat sich in fast schon paradoxer
Weise in der Gesamtkonzeption deutlich von allen denkbaren Vorbildern entfernt, sich zugleich aber im Detail doch
immer wieder auf sie bezieht. Ob es nun Harmonien sind, die an Howard Shore oder Desplats großes Vorbild John Williams
denken lassen (der Jurassic Park lässt grüßen), oder aber kraftvolle Actionpassagen, die wiederum James Horner
ins Gedächtnis rufen: Derartige Querbezüge sind zwar insgesamt selten, aber dennoch markant genug, um immer wieder
Mal zu irritieren.
Trotz schöner Einzelthemen fehlt zudem ein besonders markanter thematischer Gedanke, der als roter Faden und tragende
Klammer dienen könnte. Vielleicht liegt es auch genau daran, dass die Musik zum Goldenen Kompass
anfänglich von vielen Hörern etwas verhalten aufgenommen wird. Das Einhören lohnt sich aber. Die Musik von
Alexandre Desplat ist eine der thematisch reichhaltigsten und klangschönsten Filmkompositionen des Jahres und
obendrein für einen aufwändigen Fantasy-Stoff wie diesen geradezu überraschend unprätentiös. Angenehm abgerundet wird die
knapp 70minütige Originalmusik von Kate Bush, die mit dem ätherischen "Lyra" einen einfachen, aber stimmungsvollen
Filmsong beisteuert. (mr)
Decca 478 0207
Chöre: The London Voices & The London Oratory, School Schola
Dirigenten: Alexandre Desplat & Gavin Greenaway
74:03 Min.
Filminfo:
Deutscher Titel: "Der goldene Kompass"
Regie: Chris Weitz
Darsteller: Daniel Craig, Nicole Kidman
Tracklist:
- The Golden Compass (2:22)
- Sky Ferry (2:44)
- Letters from Bolvangar (2:33)
- Lyra, Roger and Billy (1:29)
- Mrs. Coulter (5:20)
- Lyra Escapes (3:44)
- The Magisterium (1:58)
- Dust (1:10)
- Serafina Pekkala (1:50)
- Lee Scoresby's Airship Adventure (1:20)
- Iorek Byrnison (5:28)
- Lord Faa, King of the Gyptians (2:17)
- The Golden Monkey (2:04)
- Riding Iorek (4:38)
- Samoyed Attack (1:21)
- Lord Asriel (2:10)
- Ragnar Sturlusson (6:18)
- Ice Bear Combat (2:15)
- Iorek's Victory (1:26)
- The Ice Bridge (1:33)
- Rescuing the Children (2:18)
- Intercision (2:47)
- Mother (3:35)
- Battle With the Tartars (4:31)
- Epilogue (3:33)
- Lyra (3:19)
(written and performed by Kate Bush)