Die fetten Jahre sind vorbei. Wer möchte augenblicklich angesichts der anhaltenden
Konjunkturschwäche, steigender Arbeitslosenzahlen und einem stetig schwindenden
Sozialsystem daran zweifeln? Die daraus resultierenden pessimistischen Zukunftsaussichten
haben den deutschen Regisseur Hans Weingartner dazu bewogen, die interessante filmische
Frage zu formulieren, ob eine Gegenbewegung in unserer Zeit noch möglich ist und wie diese
möglicherweise aussehen könnte. Wie kann man sich gegen eine korrupte, machtverliebte
Parteienlandschaft, gegen zunehmende Verdummung, Werteverfall und gegen eklatante soziale
Ungerechtigkeiten zu wehr setzen? Vor allem aber wo bleibt eine neue junge Generation,
die etwas bewegen will und gegen Stagnation und Missstände ankämpft?
Weingartners Film handelt von den drei jugendlichen Rebellen Jule, Peter und Jan, die mit
einer Mischung aus Naivität, sympathischer Frechheit und krimineller Radikalität versuchen,
die Welt zu verändern. Als Protest dringen sie regelmäßig in fremde Villen ein und
hinterlassen - ohne etwas zu stehlen - ein heilloses Durcheinander zusammen mit provokativen
Botschaften wie "Sie haben zu viel Geld" oder "Die fetten Jahre sind vorbei". Dies geht
solange gut, bis ein heimkommender Besitzer - ein reicher Manager - die frisch verliebten Jan
und Jule auf frischer Tat ertappt und letztere sogar wiedererkennt. Kurzentschlossen entführt
das Trio den "Vertreter des Establishments" auf eine abgelegene Berghütte. Dort entpuppt sich die Geisel
zur Überraschung aller jedoch als Alt-68er und wirkt plötzlich keinesfalls mehr so
arrogant und unsympathisch wie anfangs gedacht. Als sich zwischen den Jugendlichen dazu
auch noch eine komplizierte Dreiecksbeziehung entwickelt, sind die drei zunehmend mit der
neuen Situation überfordert.
Die fetten Jahre sind vorbei bietet über weite Strecken so rasantes wie erfrischendes
Kino aus Deutschland. Zwar liegen die Sympathien der Inszenierung stets bei den jungen
Rebellen. Dennoch wird die Figur des Managers Hardenberg keinesfalls als plumpes
kapitalistisches Zerrbild auf die Gegenseite gestellt. Im Gegenteil: der von Burkhardt
Klaußner überzeugend verkörperte Hardenberg setzt dem Trio zum Teil entwaffnende
Argumente entgegen. Gerade die vielen Widersprüche und Brüche machen den Reiz des Films aus.
So macht Jule in der Fußgängerzone mit Aktionen auf die Ausbeutung von Arbeitskräften in der
Dritten Welt aufmerksam, bedient aber allabendlich in einem feinen Nobelrestaurant genau die
Menschen, gegen die sich ihr Protest richtet. Auch die Ratlosigkeit der drei, wenn es darum
geht, mit welchen Mitteln die eigenen Ziele verwirklicht werden können, wird glaubhaft vermittelt.
Wie im realen Leben klaffen hier Wunsch und Wirklichkeit oftmals auseinander. Diese
Vielschichtigkeit zählt neben dem hervorragend agierenden Darstellerensemble zu den großen
Stärken des Films.
Leider gelingt Weingartner keine überzeugende Auflösung seiner Geschichte. Einerseits ist
die Entführung zu schwerwiegend, um ungeahndet zu bleiben, andererseits wirken die
aufkeimenden Sympathien zwischen Geisel und Entführer viel zu groß, um einen Verrat
glaubhaft zu machen. Weingartner rettet sich in ein märchenhaft optimistisches Ende, das
mit der ansonsten realistisch angelegten Handlung bricht. Es entlässt den Zuschauer so
hanebüchen wie deplaziert mit einem wiedererstarkten, und Coolness ausstrahlendem Heldentrio
auf dem Weg zu einem terroristischen Anschlag. Einen solchen dümmlichen Abschluss hat der
ansonsten spannende und diskussionswürdige Film allerdings nicht verdient.
Die in Die fetten Jahre sind vorbei verwendete Musik umfasst lediglich sieben Songs.
Für mehr war kein Geld da. "Wir hätten gerne noch mehr Musik in den Film gepackt, aber das
Geld reichte nicht.", schreibt Weingartner im ansprechend gestalteten Booklet. Da sich aus
so wenigen Songs - einer dazu noch von Freddy Quinn - keine Soundtrack-CD kreieren
lässt, hat das zuständige Label Mute Records nun eine Doppel-CD zusammengestellt, die die
Filmlieder um von den Darstellern und dem Regisseur ausgewählte Musik erweitert. Herausgekommen
ist eine bunte, vielseitige Mischung, die freche Protestlieder wie "Trend" oder
"Bis zum Erbrechen Schreien" mit alternativem Pop/Rock à là Placebo, Depeche Mode oder Franz Ferdinand
vereint.
Entstanden ist ein sorgfältig zusammengestelltes Doppel-Album, bei dem rein kommerzielle Erwägungen
nur eine untergeordnete Rolle spielen. Zwar haben die Mehrheit der Songs naturgemäß wenig mit
dem Film zu tun, stellen aber immerhin eine sinnvolle Ergänzung dar. Bei über zwei Stunden
Musik gibt es zwar auch einige Durchhänger wie der monotone Elektropop in "Close Again" oder
die unnötige Coverversion des Quinn-Songs von Element of Crime. Überhaupt erscheint die zweite
CD nicht mehr ganz so geschmackssicher wie die erste. Größere
Fehlgriffe bleiben dennoch Ausnahmen. Insgesamt macht die abwechslungsreiche, freche und durchaus auch
mal punkige Kompilation Sinn und Spaß. Vielleicht eine der sympathischsten Alternativen
zum derzeit allgegenwertigen Weihnachtstreiben. (mr - 6.12.2004)