INHALT

Rezension

"Drei auf der Suche"

Songalbum:

Die fetten Jahre sind vorbei (2004)

Die fetten Jahre sind vorbei. Wer möchte augenblicklich angesichts der anhaltenden Konjunkturschwäche, steigender Arbeitslosenzahlen und einem stetig schwindenden Sozialsystem daran zweifeln? Die daraus resultierenden pessimistischen Zukunftsaussichten haben den deutschen Regisseur Hans Weingartner dazu bewogen, die interessante filmische Frage zu formulieren, ob eine Gegenbewegung in unserer Zeit noch möglich ist und wie diese möglicherweise aussehen könnte. Wie kann man sich gegen eine korrupte, machtverliebte Parteienlandschaft, gegen zunehmende Verdummung, Werteverfall und gegen eklatante soziale Ungerechtigkeiten zu wehr setzen? Vor allem aber wo bleibt eine neue junge Generation, die etwas bewegen will und gegen Stagnation und Missstände ankämpft?

Weingartners Film handelt von den drei jugendlichen Rebellen Jule, Peter und Jan, die mit einer Mischung aus Naivität, sympathischer Frechheit und krimineller Radikalität versuchen, die Welt zu verändern. Als Protest dringen sie regelmäßig in fremde Villen ein und hinterlassen - ohne etwas zu stehlen - ein heilloses Durcheinander zusammen mit provokativen Botschaften wie "Sie haben zu viel Geld" oder "Die fetten Jahre sind vorbei". Dies geht solange gut, bis ein heimkommender Besitzer - ein reicher Manager - die frisch verliebten Jan und Jule auf frischer Tat ertappt und letztere sogar wiedererkennt. Kurzentschlossen entführt das Trio den "Vertreter des Establishments" auf eine abgelegene Berghütte. Dort entpuppt sich die Geisel zur Überraschung aller jedoch als Alt-68er und wirkt plötzlich keinesfalls mehr so arrogant und unsympathisch wie anfangs gedacht. Als sich zwischen den Jugendlichen dazu auch noch eine komplizierte Dreiecksbeziehung entwickelt, sind die drei zunehmend mit der neuen Situation überfordert.

Die fetten Jahre sind vorbei bietet über weite Strecken so rasantes wie erfrischendes Kino aus Deutschland. Zwar liegen die Sympathien der Inszenierung stets bei den jungen Rebellen. Dennoch wird die Figur des Managers Hardenberg keinesfalls als plumpes kapitalistisches Zerrbild auf die Gegenseite gestellt. Im Gegenteil: der von Burkhardt Klaußner überzeugend verkörperte Hardenberg setzt dem Trio zum Teil entwaffnende Argumente entgegen. Gerade die vielen Widersprüche und Brüche machen den Reiz des Films aus. So macht Jule in der Fußgängerzone mit Aktionen auf die Ausbeutung von Arbeitskräften in der Dritten Welt aufmerksam, bedient aber allabendlich in einem feinen Nobelrestaurant genau die Menschen, gegen die sich ihr Protest richtet. Auch die Ratlosigkeit der drei, wenn es darum geht, mit welchen Mitteln die eigenen Ziele verwirklicht werden können, wird glaubhaft vermittelt. Wie im realen Leben klaffen hier Wunsch und Wirklichkeit oftmals auseinander. Diese Vielschichtigkeit zählt neben dem hervorragend agierenden Darstellerensemble zu den großen Stärken des Films.

Leider gelingt Weingartner keine überzeugende Auflösung seiner Geschichte. Einerseits ist die Entführung zu schwerwiegend, um ungeahndet zu bleiben, andererseits wirken die aufkeimenden Sympathien zwischen Geisel und Entführer viel zu groß, um einen Verrat glaubhaft zu machen. Weingartner rettet sich in ein märchenhaft optimistisches Ende, das mit der ansonsten realistisch angelegten Handlung bricht. Es entlässt den Zuschauer so hanebüchen wie deplaziert mit einem wiedererstarkten, und Coolness ausstrahlendem Heldentrio auf dem Weg zu einem terroristischen Anschlag. Einen solchen dümmlichen Abschluss hat der ansonsten spannende und diskussionswürdige Film allerdings nicht verdient.

Die in Die fetten Jahre sind vorbei verwendete Musik umfasst lediglich sieben Songs. Für mehr war kein Geld da. "Wir hätten gerne noch mehr Musik in den Film gepackt, aber das Geld reichte nicht.", schreibt Weingartner im ansprechend gestalteten Booklet. Da sich aus so wenigen Songs - einer dazu noch von Freddy Quinn - keine Soundtrack-CD kreieren lässt, hat das zuständige Label Mute Records nun eine Doppel-CD zusammengestellt, die die Filmlieder um von den Darstellern und dem Regisseur ausgewählte Musik erweitert. Herausgekommen ist eine bunte, vielseitige Mischung, die freche Protestlieder wie "Trend" oder "Bis zum Erbrechen Schreien" mit alternativem Pop/Rock à là Placebo, Depeche Mode oder Franz Ferdinand vereint.

Entstanden ist ein sorgfältig zusammengestelltes Doppel-Album, bei dem rein kommerzielle Erwägungen nur eine untergeordnete Rolle spielen. Zwar haben die Mehrheit der Songs naturgemäß wenig mit dem Film zu tun, stellen aber immerhin eine sinnvolle Ergänzung dar. Bei über zwei Stunden Musik gibt es zwar auch einige Durchhänger wie der monotone Elektropop in "Close Again" oder die unnötige Coverversion des Quinn-Songs von Element of Crime. Überhaupt erscheint die zweite CD nicht mehr ganz so geschmackssicher wie die erste. Größere Fehlgriffe bleiben dennoch Ausnahmen. Insgesamt macht die abwechslungsreiche, freche und durchaus auch mal punkige Kompilation Sinn und Spaß. Vielleicht eine der sympathischsten Alternativen zum derzeit allgegenwertigen Weihnachtstreiben. (mr - 6.12.2004)

Mute Records CDSTUMMTT3 / 7243 863419 0 7
CD1: 60:13 Min. / CD2: 62:40 Min.

Tracklist:

CD 1:

  1. Depeche Mode - Personal Jesus
  2. Mediengruppe Telekommander - Trend
  3. One Inch Punch - Gemini
  4. Looper - Mondo 77
  5. Lucky Jim - Halleluja
  6. Phantom Ghost - To Damascus
  7. The Notwist - Pilot
  8. Turner - After Work
  9. Tocotronic - Ich bin viel zu lange mit euch mitgegangen
  10. Placebo - Bulletproof Cupid
  11. Mark Lanegan - Driving Death Valley Blues
  12. beige GT - Funghi Pudel
  13. Simian - The Way I Live
  14. Leonard Cohen - Sisters Of Mercy
  15. Element Of Crime - Heimweh
  16. The Long Day of the Premiere
    (Video)
CD 2:
  1. Phoenix - If I Ever Feel Better
  2. Barbara Morgenstern - Aus heiterem Himmel (Ellen Alien Remix)
  3. Sid LeRock - Close Again
  4. Trashmonkeys - Song No 1
  5. Nada Surf - Hyperspace
  6. Franz Ferdinand - Darts Of Pleasure
  7. Lucky Jim - My Soul Is On Fire
  8. Tom Liwa - Juliane Straat
  9. T.Raumschmiere - Monstertruckdriver (Edit)
  10. Alter Ego - Rocker
  11. Eagles Of Death Metal - I Only Want You
  12. Slut - Easy To Love
  13. Radio 4 - Dance To The Underground
  14. Jeff Cole - The Real Sky
  15. Sophia - Swept Back
  16. Burghart Klaussner - J'ai connu de vous
  17. Mediengruppe Telekommander - Bis zum Erbrechen Schreien
    (Karaoke Version -Video)