Die Wichmann-Halle in Braunschweig ist nicht so einfach zu finden, zumindest bei Dunkelheit, Wind und Nieselregen.
Nachdem ich zunächst 20 Minuten in die völlig falsche Richtung gelaufen bin, stehe ich irgendwo in der Nähe des Zielortes.
Mir begegnen drei Teenager. Ich frage sie, ob sie wüssten wo die Wichmann-Halle ist: Die Antwort ist Schulterzucken und "Ich weiß nicht".
Ich drehe mich um und sehe die leuchtenden Buchstaben der Firma "Wichmann". Gefunden.
Immer Drama um Tamara (GB 2010):
Der unsinnige deutsche Titel leitet in die Irre: Denn nicht die titelgebende Tamara Drewe, die vom hässlichen Entlein zur Schönheit verwandelt,
in ihr Heimatdorf zurückkehrt, ist es, die für Drama auf dem Land sorgt, sondern zwei fünfzehnjährige Backfische (grandios: Jessica Barden), die mit ihren
Streichen das Dorfleben folgenreich durcheinander bringen.
Stephen Frears hat mit seinem neuen Film eine herrliche, britische Komödie inszeniert, die durch ihr pointiertes Timing und ihren trockenen
englischen Humor begeistert. Das famose Darsteller-Ensemble trägt viel zum Gelingen des wunderbaren Filmes bei. Wen stört es da schon,
dass die auf einer "graphic novel" basierende Geschichte um mit ihren Büchern ringende Schriftsteller, Affären und einen Rocksänger mit Hund eigentlich recht
konstruiert daherkommt. Immer Drama um Tamara macht so viel Spaß, wie lange keine Komödie mehr.
Shigeru Umebayashi Konzert:
Der Name Shigeru Umebayashi ist in Deutschland bislang noch nicht so bekannt. Dabei hat der 1951 in Kitakyushu geborene Japaner in
den letzten zehn Jahren eine ganze Reihe von populären Arthaus-Filmen vertont, zum Beispiel zu den Filmen Wong Kar-Wais (In the Mood for Love
und 2046) sowie den Regie-Arbeiten Zhang Yimous (House of Flying Daggers und Der Fluch der goldenen Blume) Musik beigetragen.
Umebayashi begründetet seine Karriere in den 80er Jahren als Sänger und Gitarrist der NewWave-Band EX und kam wohl eher zufällig
über einen Freund, der Schauspieler ist, zum Film.
Er spannt in seinem Werk einen Bogen von melodischen, rhythmisch akzentuierten Einzelstücken, wie sie in den
formal strengen Filmen Wong Kar-Wais zum Einsatz kommen, bis hin zu opulenten orchestralen Musiken, die fest in der Tradition asiatischer Filmmusiken
(Tan Dun, Ryuichi Sakamoto etc.) verankert sind. Die märchenhaft verklärten Historienfilme House of Flying Daggers und
Curse of Golden Flowers gefallen mit ihren elegischen Melodiebögen, ethnischen Kolorit und den perkussiv gestalteten Action-Piecen.
Der Fluch der goldenen Blume nimmt dabei eine kleine Sonderstellung ein, erinnert mit seinen Vokalisen und Chor-Anteilen fast an ein
wortloses Oratorium. Nicht vergessen sollte man allerdings, dass Umebayashi Karriere bis Mitte der 80er Jahre zurückreicht und auf sein Konto über dreißig
Filmmusiken (Quelle: IMDB) vor In the Mood for Love gehen, von denen aber nur die wenigsten hierzulande verfügbar sind.
Die spannende Frage des Abend lautete: Wie gut würden die Filmmusiken Shigeru Umebayashis in einem kammermusikalischen Rahmen ohne ethnisches
Instrumentarium funktionieren? Das Kammermusik-Ensemble des Braunschweiger Staatsorchester, der Kammerchor Venti Voci und der bekannte
Ethno-Flötist Sandro Friedrich hatten unter der Leitung von Burkhard Bauche die sicher nicht leichte Aufgabe, die Musik unter Anwesenheit des
Komponisten zu präsentieren.
Das Ergebnis konnte sich hören lassen. Die geschickte Anordnung und Auswahl der Filmmusiken (präsentiert wurden 23 Stücke aus elf Filmen; siehe unten)
bot einen reizvollen Streifzug durch die Filmmusiken des Japaners. Die Reduzierung auf ein kleines Ensemble schadete der Musik in keiner Weise.
Gerade durch die geschickte Besetzung mit Chor, Perkussion und Querflöte wurden immer wieder die notwendigen Akzente der einzelnen Filmmusiken
gesetzt. Nur gelegentlich mangelte es ein wenig am richtigen Timing oder sprengte die Perkussion durch ihre Lautstärke etwas den kammermusikalischen
Rahmen.
Auffallend war, dass nicht zuletzt einige hier weniger bekannte Filmmusiken Highlights setzten. Die lyrischen Melodien aus dem Drama
Incendiary, das prägnante Thema aus Sorekara von 1985, aber auch der wuchtige Marsch aus Charleston & Vendetta legen nahe,
dass im Werk Umebayashis noch die ein oder andere hörenswerte Musik jenseits der weltweit vermarkteten Produktionen wartet. Ein weiterer Höhepunkt
war das wunderschön interpretierte Liebesthema "Lovers" aus House of Flying Daggers.
Die Mischung hat gestimmt, an diesem schön konzipierten Konzertabend mit einem gut aufgelegten Ensemble.
Umebayashis kompositorisch eher einfache Filmmusiken funktionieren auf voller CD-Länge nur bedingt, da sie immer wieder auch über
rein atmosphärische, filmdienliche Stücke verfügen. Die richtige Auswahl war das Erfolgsrezept für den rundum gelungenen Konzertabend
in der gut besuchten Braunschweiger Wichmann-Halle. (mr)
Programm:
1. Cello & Horn (2046)
2. 2046 Main Theme (2046)
3. Polonaise (2046)
4. To Victolia station (INCENDIARY)
5. Incendiary - Main Theme (INCENDIARY)
6. Hollow Inside (HANNIBAL RISING)
7. Sorekara - Main Theme (SOREKARA/AND THEN)
8. Yumeji's Theme (IN THE MOOD FOR LOVE)
9. Train (ZHOU'S YUS TRAIN)
10. Geoge's Waltz – II (A SINGLE MAN)
11. Variation on Scotty Tails Madeleine – Carlos (A SINGLE MAN)
12. No Way Out (HOUSE OF FLYING DAGGERS)
13. Farewell No. 2 (HOUSE OF FLYING DAGGERS)
14. Echo Game (HOUSE OF FLYING DAGGERS)
15. Tianjin Fight (FEARLESS)
16. Me and Leo (HOUSE OF FLYING DAGGERS)
17. Curse of the Golden Flower (CURSE OF THE GOLDEN FLOWER)
18. Theme of Yuan & Yeuci (FEARLESS)
19. Mother & Jai (CURSE OF THE GOLDEN FLOWER)
20. Return to The Palace (CURSE OF THE GOLDEN FLOWER)
21. Theme of The Empress (CURSE OF THE GOLDEN FLOWER)
22. Lovers (HOUSE OF FLYING DAGGERS)
23. Vendetta March (CHARLESTON & VENDETTA)