Puh! Ein prall gefülltes Programm wartete am 4. Tag des Braunschweiger Filmfests: Das Ergebnis: Gerötete Augen, Müdigkeit
und eine Über-Empfindlichkeit gegen alles Helle. Darum schnell wieder zurück in die Dunkelheit des Kinos...
The Cloud Painting Machine (ESP 2009):
Bilbao im Jahr 1974 gegen Ende der Franco-Diktatur: Der vierzehnjährige Asier, Sohn eines Malers, ist unsterblich in ein älteres
Mädchen verliebt und verspricht ihr, ihr Porträt zu zeichnen. Doch die Sache hat einen Haken: Er kann nicht malen...
Die Regisseure Aitor Mazo und Paxto Telleria erzählen in La Máquina de pintar Nubes mit bittersüßer Poesie von der
schwierigen Zeit des Erwachsenwerdens. Das repressive Franco-Regime spielt für die Handlung
nur eine untergeordnete Rolle. Im Vordergrund steht die Künstlerfamilie und ihre Probleme. Der Film ist edel gestaltet:
Reizvoll etwa die Transformation der Schluss-Einstellungen von Szenen in abstrakte Gemälde, die den Film in Kapitel unterteilen.
Auch die attraktive lyrische Filmmusik von Bingen Mendizábal nimmt für die Tragikkomödie ein. Ohne Frage: La Máquina de pintar Nubes ist auf
hohem Niveau inszeniert. Nur kann man sich nicht ganz des Eindrucks erwehren, diese Geschichte schon einmal zu häufig in ähnlicher
Form gesehen zu haben. Immerhin vermeidet das Drehbuch die meisten Kitschfallen und endet berührend auf einer so hoffnungsvollen wie
melancholischen Note.
Die Wahrheit über Dracula (D 2010):
Die Wahrheit über den Fürsten der Dunkelheit: Das Verspricht vollmundig der Titel des neuen Dokumentarfilms von Stanislaw Mucha.
Auf so skurrile wie informative Weise spürt er dem Mythos Dracula und der als Vorbild dienenden historischen Person, der Fürst Vlad Tepes -
der "Pfähler" genannt, nach. Vlad Tepes lebte in Mittelalter und schützte sein Land mit grausamen Methoden vor der Bedrohung durch das Osmanische
Reich, in dem er seine Feinde der Überlieferung nach aufspießen ließ.
Die Reise führte Stanislaw Mucha für seine Dokumentation natürlich zwangsläufig
nach Transsilvanien. Er hat sowohl Experten zum Thema als auch
einfache Menschen interviewt. Ganz nebenbei erzählt Mucha so von den Siebenbürgener Sachsen, die nach dem Fall der eisernen Mauer fluchtartig das Land verließen. Zurück blieben nur wenige Menschen, darunter
ein alter Pfarrer, der seine Gottesdienste nun vor komplett leeren Rängen hält. Die verschrobenen Ansichten vieler Rumänen, die sich heute
einen neuen "Vlad Tepes" wünschten, um für Recht und Ordnung zu sorgen, steht neben den Sorge vieler, die historische Figur Vlad Tepes können
völlig hinter der kommerziellen Ausschlachtung der Dracula-Figur Bram Stokers verschwinden.
Two in the Wave (F 2009):
Einem ganz anderen Stoff widmet sich Emmanuel Laurent in seinem Dokumentarfilm Deux de la Vague - Two in the Wave. Er erzählt von
von der Freundschaft zwischen den Regielegenden Francois Truffat und Jean-Luc Godard, die beiden zentralen Begründer der Nouvelle Vague
genannten französischen Filmströmung, die in den späten 50er Jahren in Frankreich ihren Ursprung fand. Das Besondere der Nouvelle Vague war die
Mischung des Autorenkinos Europas mit den Trends und Entwicklungen des Hollywoodkinos, wie sich zum Beispiel exemplarisch an Godards Außer Atem
nachvollziehen lässt.
Laurent entwickelt anhand selten gezeigter Archivaufnahmen ein interessantes Zeitporträt bis hin zu der zunehmenden Politisierung
Godards und dem daraus resultierenden Bruch der Freundschaft in den späten 60er Jahren.
Leider kämpft sein Film mit einer zentralen Schwäche: Sein Zielpublikum wird die Geschichte Truffauts und Godards anhand einschlägiger Literatur
bereits gut genug kennen. Sie erfahren hier letztlich nur wenig Neues. Wer hingegen kein Vorwissen in Sachen "Nouvelle Vague" mitbringt, dürfte mit der Fülle
an Informationen überfordert sein. So sitzt Two in the Wave ein wenig zwischen den Stühlen. Und das ist schade.
Berlin: Die Sinfonie der Großstadt:
Zweifellos ein besonderer Höhepunkt des diesjährigen Filmfests war die Live-Aufführung von Walter Ruttmanns Stummfilm
Berlin: Die Sinfonie der Großstadt von 1928, in dem die eng mit den Bildern verzahnte Filmmusik von Edmund Meisel eine
herausragende Stellung einnimmt. Der Film zeigt, in fünf Akte unterteilt, quasi dokumentarisch einen Tag in Berlin im Jahr 1928. Ruttmann porträtiert
kongenial die Maschinerie der Großstadt, die ständig in Bewegung ist. Er inszeniert sie als ein manisches, entfesseltes Treiben - ein Strudel,
aus dem es kein Entrinnen gibt. Die wuchtige Vertonung Meisels, die auf Basis einer Klavierfassung im Jahr 2007 von Frank Strobel neu
instrumentiert wurde, geht weit über die reine Illustration der Bewegung hinaus. Durch ihre lärmende, geradezu hektische Opulenz trägt sie
kongenial zur starken Wirkung des berühmten Filmes bei.
Ein großes Lob verdient das Staatsorchester Braunschweig, das unter der musikalischen Leitung von Sebastian Beckedorf Meisels mit präzisem
Timing aufspielte. Der festliche Rahmen im gut gefüllten Staatstheater war genau der Richtige für einen wunderbaren Filmkonzert-Abend wie diesen, der vielen
Zuschauern wohl lange im Gedächtnis bleiben wird. (mr)