Das Leben junger Frauen in der Großstadt ist Thema mehrerer Beiträge des Filmfests wie
z.B.
Staub auf unseren Herzen oder
Maelström oder nun
Am Himmel der Tag bzw.
Night #1. Die Perspektive ist immer eine leicht andere, ähnlich wie der jeweilige Inszenierungstil,
der den Darstellern in
Staub auf unseren Herzen viel Raum für Improvisation ließ, während
diese in
Night #1 sehr streng nach Drehbuch agieren mussten.
Am Himmel der Tag (D 2012)
In Pola Becks Regiedebüt stehen zwei junge Architekturstudentinnen im Mittelpunkt, die
sich weniger im Hörsaal als auf Partys herumtreiben. Als eine von beiden, Lara (gespielt von Aylin Tezel), nach
einem One Night Stand ungewollt schwanger wird, entfremden sich die beiden Freundinnen immer mehr.
Die Situation spitzt sich dramatisch zu, als Clara eine Fehlgeburt erleidet.
Vor allem in der zweiten Hälfte des Filmes wandelt sich der leichte Grundton des Filmes zu einem beklemmenden,
berührenden Drama, das vom großartigen Spiel von Aylin Tezel enorm profitiert. Pola Beck und der Drehbuchautor haben
im Vorfeld zahlreiche Recherchen zum Thema "stille Geburt" durchgeführt und mit Betroffenen sowie Ärzten gesprochen.
Der zurückhaltende, aber präzise Blick auf das eher selten in den Medien behandelte Thema zeichnet Am Himmel der Tag
aus.
Leider besitzt das Drehbuch kleinere Schwächen in der Entwicklung der Geschichte: So erscheint es zum Beispiel
unglaubwürdig, dass niemand erkennt, dass etwas mit Lara nicht stimmt, obwohl diese sichtlich von ihrem Leid
gezeichnet ist. Trotz dieser kleinen Einwände ist Pola Beck ein beeindruckendes Erstlingswerk geglückt, das zu den
besonders sehenswerten Beiträgen des jungen Deutschen Kinos in diesem Jahr gehört.
I am Nasrine (Iran/GB 2012):
Stellvertretend für viele andere Einzelschicksale erzählt die Iranische Regisseurin Tina Gharavi von der
jungen, unangepassten Iranerin Nasrine, die zu Beginn des Jahrtausends ihr Heimatland verlassen muss, um Repressalien zu entgehen. Sie emigriert
zusammen mit ihrem Bruder nach England, wo sie sich der Gemeinschaft der sogenannten "Travellers" anschließt. Doch
nach 9/11 wird das Leben für Muslime in Großbritannien immer schwerer, gewaltsame Übergriffe gehören der Tagesordnung an.
Und so gerät ihr Bruder eines Tage in eine für ihn verhängnisvolle Situation.
Unter zum Teil schwierigen Bedingung im Iran gedreht, gelingt I am Nasrine ein so einfaches, wie zugleich
glaubwürdiges Porträt einer jungen Frau, die aus politischen Gründen ihr Heimatland verlassen muss, um in Großbritannien
ein neues Leben zu beginnen. Einer der Vorzüge des Filmes ist es, nicht die üblichen Klischees des Culture Clash zu
bemühen. Nasrine gelingt es zum Beispiel überraschend schnell, neue Freunde zu finden. Ihre eigentlichen Probleme liegen an
anderer Stelle. Dieser frische, unprätentiöse Blick auf den schon häufiger in Filmen erzählten Grundplot lässt
manche etwas konstruierte Zuspitzung dramatischer Ereignisse verzeihen.
Night #1 (Kanada 2011):
Ein faszinierendes Drehbuch hat die Regisseurin Anne Émond in ihrem Erstlingswerk Night #1 in Szene gesetzt.
Sie erzählt von einem jungen Mann und einer jungen Frau, die in seiner Wohnung einen One Night Stand haben. Als
sie mitten in der Nacht die Wohnung verlassen will, hält er sie auf. Ein ungewöhnliches Gespräch entwickelt sich
zwischen den Beiden.
Man könnte Night #1 wegen seiner expliziten Szenen zu Beginn für pornographisch halten oder von einem Skandalfilm
sprechen. Doch ein solches Urteil wäre verfehlt, denn die Konstruktion ist durchaus geschickt: In den ersten Szenen
lernt der Zuschauer die Filmfiguren genauso kennen, wie diese sich erfahren - nämlich allein oberflächlich - rein physisch. Erst in den Gesprächen und Monologen,
die folgen, erfährt der Zuschauer mehr von den Charakteren.
Im Grunde porträtiert Night #1 die Geständnisse zweier zielloser, nahezu nihilistischer Menschen.
Anne Émond überlässt in dem streng durchkonstruierten Kammerspiel keine Geste, kein Wort dem Zufall.
Dadurch wirkt Night #1 gleichermaßen ungewöhnlich wie artifiziell. Auch wenn manchem Kinogänger der Film zu künstlich
erscheinen mag: Das gesprochene Wort war Anne Émond besonders wichtig. Und tatsächlich: In wievielen Filmen diese Tage findet
man schon derart ausgefeilte Monologe? (mr)