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Filmfestival

"Filmfest-Tagebuch"

26. Filmfest Braunschweig

5. Tag:
Am Himmel der Tag /I am Nasrine / Night #1

Das Leben junger Frauen in der Großstadt ist Thema mehrerer Beiträge des Filmfests wie z.B. Staub auf unseren Herzen oder Maelström oder nun Am Himmel der Tag bzw. Night #1. Die Perspektive ist immer eine leicht andere, ähnlich wie der jeweilige Inszenierungstil, der den Darstellern in Staub auf unseren Herzen viel Raum für Improvisation ließ, während diese in Night #1 sehr streng nach Drehbuch agieren mussten.

Am Himmel der Tag (D 2012)
Filmfest Braunschweig In Pola Becks Regiedebüt stehen zwei junge Architekturstudentinnen im Mittelpunkt, die sich weniger im Hörsaal als auf Partys herumtreiben. Als eine von beiden, Lara (gespielt von Aylin Tezel), nach einem One Night Stand ungewollt schwanger wird, entfremden sich die beiden Freundinnen immer mehr. Die Situation spitzt sich dramatisch zu, als Clara eine Fehlgeburt erleidet.

Vor allem in der zweiten Hälfte des Filmes wandelt sich der leichte Grundton des Filmes zu einem beklemmenden, berührenden Drama, das vom großartigen Spiel von Aylin Tezel enorm profitiert. Pola Beck und der Drehbuchautor haben im Vorfeld zahlreiche Recherchen zum Thema "stille Geburt" durchgeführt und mit Betroffenen sowie Ärzten gesprochen. Der zurückhaltende, aber präzise Blick auf das eher selten in den Medien behandelte Thema zeichnet Am Himmel der Tag aus.

Leider besitzt das Drehbuch kleinere Schwächen in der Entwicklung der Geschichte: So erscheint es zum Beispiel unglaubwürdig, dass niemand erkennt, dass etwas mit Lara nicht stimmt, obwohl diese sichtlich von ihrem Leid gezeichnet ist. Trotz dieser kleinen Einwände ist Pola Beck ein beeindruckendes Erstlingswerk geglückt, das zu den besonders sehenswerten Beiträgen des jungen Deutschen Kinos in diesem Jahr gehört.

I am Nasrine (Iran/GB 2012):
Filmfest Braunschweig Stellvertretend für viele andere Einzelschicksale erzählt die Iranische Regisseurin Tina Gharavi von der jungen, unangepassten Iranerin Nasrine, die zu Beginn des Jahrtausends ihr Heimatland verlassen muss, um Repressalien zu entgehen. Sie emigriert zusammen mit ihrem Bruder nach England, wo sie sich der Gemeinschaft der sogenannten "Travellers" anschließt. Doch nach 9/11 wird das Leben für Muslime in Großbritannien immer schwerer, gewaltsame Übergriffe gehören der Tagesordnung an. Und so gerät ihr Bruder eines Tage in eine für ihn verhängnisvolle Situation.

Unter zum Teil schwierigen Bedingung im Iran gedreht, gelingt I am Nasrine ein so einfaches, wie zugleich glaubwürdiges Porträt einer jungen Frau, die aus politischen Gründen ihr Heimatland verlassen muss, um in Großbritannien ein neues Leben zu beginnen. Einer der Vorzüge des Filmes ist es, nicht die üblichen Klischees des Culture Clash zu bemühen. Nasrine gelingt es zum Beispiel überraschend schnell, neue Freunde zu finden. Ihre eigentlichen Probleme liegen an anderer Stelle. Dieser frische, unprätentiöse Blick auf den schon häufiger in Filmen erzählten Grundplot lässt manche etwas konstruierte Zuspitzung dramatischer Ereignisse verzeihen.

Night #1 (Kanada 2011):
Filmfest Braunschweig Ein faszinierendes Drehbuch hat die Regisseurin Anne Émond in ihrem Erstlingswerk Night #1 in Szene gesetzt. Sie erzählt von einem jungen Mann und einer jungen Frau, die in seiner Wohnung einen One Night Stand haben. Als sie mitten in der Nacht die Wohnung verlassen will, hält er sie auf. Ein ungewöhnliches Gespräch entwickelt sich zwischen den Beiden.

Man könnte Night #1 wegen seiner expliziten Szenen zu Beginn für pornographisch halten oder von einem Skandalfilm sprechen. Doch ein solches Urteil wäre verfehlt, denn die Konstruktion ist durchaus geschickt: In den ersten Szenen lernt der Zuschauer die Filmfiguren genauso kennen, wie diese sich erfahren - nämlich allein oberflächlich - rein physisch. Erst in den Gesprächen und Monologen, die folgen, erfährt der Zuschauer mehr von den Charakteren.

Im Grunde porträtiert Night #1 die Geständnisse zweier zielloser, nahezu nihilistischer Menschen. Anne Émond überlässt in dem streng durchkonstruierten Kammerspiel keine Geste, kein Wort dem Zufall. Dadurch wirkt Night #1 gleichermaßen ungewöhnlich wie artifiziell. Auch wenn manchem Kinogänger der Film zu künstlich erscheinen mag: Das gesprochene Wort war Anne Émond besonders wichtig. Und tatsächlich: In wievielen Filmen diese Tage findet man schon derart ausgefeilte Monologe? (mr)