Gibt es - über die Jahre gesehen - soetwas wie den typischen Festivalfilm? Wenn ja, dann geht der vielleicht so:
Ein junger Mensch steht an der Schwelle zum Erwachsenwerden, verliebt sich, wird durch eigenes
oder fremdes Verschulden aus der Bahn geworden und beweist letztendlich dadurch seine Reife,
dass er die eigenen Probleme überwindet oder aus einer bitteren Lektion gestärkt hervorgeht.
Aber natürlich ist das nicht mehr als ein Klischee. Und einen Film wie Ulrich Seidls
Im Keller
lässt sich so ganz sicher nicht kategorisieren...
Im Keller (Ö 2014):
Ulrich Seidl gehört ganz gewiss zu den umstrittensten Regisseuren seiner Generation: Seine Filme
konfrontieren den Zuschauer mit einer offenen Ausstellung menschlicher Abgründe, des
Hässlichen, Radikalen und Extremen. Diesem Ruf wird auch sein neuestes Projekt, der Dokumentarfilm
Im Keller absolut gerecht. Seidl wirft einen Blick darauf, was seine Landsleute im untersten
Geschoss ihres Hauses so alles treiben. Und das ist eine ganze Menge: Die einsame Frau, die in einer Abstellkammer
Babypuppen lagert, die sie wie echte Kinder liebkost. Eine Frau die ihren willigen
Partner als Sklaven in einer SM-Kammer sexuell erniedrigt oder der Jäger, dessen Partyraum mit Nazi-Devotionalien
tapeziert ist.
Gibt es das alles wirklich? Wenn man sich an Natascha Kampusch und ähnliche Fälle erinnert,
mag man sich vieles vorstellen. Doch ein wenig Vorsicht ist geboten. Seidl gab zum Beispiel längst zu,
dass der Einfall mit den Babypuppen im Keller gestellt sei. Oftmals arrangiert der Österreicher seine
Figuren auch, indem er sie nebeneinander stehend in die Kamera blicken lässt. Der Skandal und die Aufregung
um Seidls Filme sind wohlkalkuliert und wurden in diesem Fall noch dadurch befördert, dass sich zwei Gemeinderäte
in einer Szene im "Nazikeller" mit ablichten ließen und damit einen handfesten Skandal auslösten. Wie andere Filme Seidls fordert auch Im Keller die Reaktion
des Zuschauers hinaus, gleichgültig, ob diese aus tiefer Ablehnung besteht oder nicht. Seidl bricht in der expliziten
Darstellung sozialer Untiefen erneut filmische Tabus. Doch stellt sich gleichermaßen die Frage, ob er nicht immer
wieder die Grenze zum Voyeurismus, zum sicher so nicht gewollten Ausstellen seiner Protagonisten, überschreitet.
Mehr als einmal fühlt man sich als Zuschauer peinlich berührt an groteske Szenen aus deutschen Reality-Soaps erinnert.
Die liefern nämlich - freilich ohne explizite Szenen - mitunter verdächtig ähnliche Bilder. (mr)
Young & Wild (D 2014):
Das muss man erst einmal nachmachen: Mit nur 3000 Euro Budget hat der damals noch 19jährige Felix Maxim Eller
sein Langfilmdebüt Young & Wild gestemmt. Er erzählt in der Komödie von drei Freunden, die kurz nach den
Abiturprüfungen ein letztes gemeinsames Wochenende erleben wollen. Doch die wilde Partytour läuft schnell aus dem Ruder
und so müssen sich die Freunde mit Ex-Freundinnen, Polizei und persönlichen Problemen herumschlagen.
Gewiss: Man merkt Young & Wild das geringe Budget mitunter deutlich an. Dialoge & Darsteller wirken phasenweise hölzern und
das Drehbuch strapaziert ein ums andere Mal die Glaubwürdigkeit. Und natürlich sind US-Vorbilder wie
American Pie oder The Hangover immer wieder spürbar. Dennoch hat man als Zuschauer das Gefühl, dass
Young & Wild seinen offensichtlichen Übertreibungen zum Trotz viel näher am Puls seiner jugendlichen Hauptfiguren
ist, als manches anderes überambitioniertes Filmprojekt auf dem diesjährigen Filmfestival. Nicht zuletzt ist Young & Wild
ein Film der durch den merklichen Enthusiasmus & die Verve seiner Macher entwaffnend frisch und rasant daherkommt. (mr)