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Filmfestival

"Filmfestival-Tagebuch"

29. Braunschweig International Filmfestival

5. Tag:
Le Dep/Ma Folie/Ephraim & das Lamm

Le Dep (Kanada 2015):

Filmfest Braunschweig Es gibt Filme, bei denen jedes Wort zu viel über die Handlung den Spaß beim Sehen verderben würde. Der mit kleinem Budget inszenierte Kanadische Thriller Le Dep ist so einer. Dabei ist die Ausgangslage des Filmes zunächst einmal alles andere als neuartig: Im Mittelpunkt steht die junge Lydia, die im Laden ihres Vaters unerwartet eine Nachtschicht übernehmen muss. Ein maskierter Crack-Süchtiger überfällt den Laden. Von da an beginnt ein raffiniert konstruiertes Spiel mit den Erwartungen der Zuschauer, das klassische Gut-Böse-Schemata geschickt unterwandert.

Sonia Bonspille Boileau hat ihren ersten Kinofilm für wenig Geld in nur wenigen Drehtagen realisiert. Das kammerspielartige Setting mag vielleicht auch ein wenig aus der Not des geringen Budgets geboren sein, ist aber der klaustrophobischen Atmosphäre umso mehr zuträglich. Le Dep ist hochspannend, weil er allen üblichen Genrekonventionen aus dem Weg geht. Der Zuschauer kann sich hier nie ganz auf der sicheren Seite wähnen. Und das macht aus Le Dep einen ungemein packenden Thriller. (mr)

Ma Folie (Östereich 2015):
Filmfest Braunschweig Ähnlich nervenzerrend wie Le Dep ist auch der Psychothriller Ma Folie aus Österreich. Im Film vom Andrina Mracnikar geht es um die junge Hanna, die in Paris Yann kennenlernt. Die beiden erleben eine leidenschaftliche Liebesbeziehung. Erst zurück in Wien kommt Yanns extreme Eifersucht zum Vorschein. Aus Liebe wird Hass. Als klassischer Stalker macht Yann Hannas Leben fortan zur Hölle auf Erden.

Ma Folie ist ein perfider Paranoia-Thriller, der seiner Hauptfigur (exzellent: Alice Dwyer) nach und nach immer mehr den Boden unter den Füssen wegzieht. Ab einem gewissen Zeitpunkt im Fortgang der Handlung verschwimmen die Grenzen zwischen realer und (möglicherweise?) eingebildeter Bedrohung allerdings zusehends. So ist am Ende längst nicht mehr klar, auf wen sich die titelgebende "Folie - Verrückheit" tatsächlich bezieht. Den Stalker oder Hanna, die sich in einem Zustand der ständigen Bedrohung wähnt. Dass sich Ma Folie einer eindeutigen Zuordnung verweigert, macht einen besonderen Reiz des Filmes aus.

Ephraim und das Lamm (Äthopien 2015):

Filmfest Braunschweig Einer der Favoriten im diesjährigen Wettbewerb um den Publikumspreis kommt aus Äthopien. In Ephraim und das Lamm muss ein kleiner Junge mit seinem Vater aufgrund der großen Dürre seine Heimat verlassen. Sein treuer Weggefährte auf der Reise ist ein braunes Lamm. Junge und Tier sind unzertrennlich. Als sein Vater das Kind bei Verwandten lässt, um in Addis Abeba sein Glück zu versuchen, muss Ephraim in fremder Umgebung bestehen. Als auch noch das Lamm soll zum Opferfest geschlachtet werden soll, will Ephraim fliehen.

Wunderschön in farbsatten Bildern fotografiert vertraut das Filmdrama von Yared Zelek nicht zuletzt auf die Wirkung von Junge und Tier. Wenn das Lamm auf Reise auf dem Dach eines Busses verstaut wird oder wie ein Hund an der Leine den Jungen auf Schritt und Tritt begleitet, besitzt das durchaus einigen Charme. Doch die Niedlichkeit erscheint zweifellos auch wohlkalkuliert. Dass das Kind sein Lamm auch in Zeiten tiefster Hungersnot behalten darf, entwirft ein Äthopienbild, das in seiner romantischen Verklärung nicht unproblematisch ist. Wenn Ephraim am Ende seinem Talent entsprechend die Familie bekochen darf, ist der Kitsch vollends perfekt. "I will dance" in Äthopien: "I will cook". (mr)