Eine Filmmusik, die sich nicht an x-fach gehörten und entsprechend abgedroschen wirkenden Vertonungsklischees orientiert,
ist im Hollywood-Kino dieser Tage wahrlich eine Seltenheit. Paul Thomas Andersons episches Drama
There will be Blood
um den Aufstieg und Fall eines Ölbarons in Texas hätte sich vermutlich für eine pastorale, von Folk- oder Bluegrass-Elementen
durchsetzte Vertonung angeboten. Doch Radiohead-Gitarrist Jonny Greenwood, der von Anderson völlig überraschend für das
ambitionierte Projekt engagiert wurde, geht völlig andere Wege: Er ignoriert den historischen Kontext des Filmes
komplett und orientiert sich mit seiner Arbeit stattdessen stilistisch an der polnischen Avantgarde des 20. Jahrhunderts,
z.B. Komponisten wie Penderecki oder Ligeti, aber auch dem Ungarn Bartok.
Jonny Greenwood entwickelt ein karges, trostlos anmutendes Klangpanorama, das von der Streichersektion des
Orchesters - oftmals kommt nur ein Streichquartett zum Einsatz - bestimmt wird. Die viel gerühmte Band Radiohead ist
eigentlich mehr für ihre elektronischen Klangexperimente bekannt. Umso erstaunlicher mutet es an, dass Greenwood hier
mit überraschendem Können und einigem Gespür für Klangwirkungen eine intensive modernistische Komposition
zu Notenpapier gebracht hat. Doch diese Entwicklung wird etwas verständlicher, wenn man sich vor Augen führt,
dass der Brite seit 2004 für die BBC bereits mehrere Konzertwerke geschrieben hat. Zwei davon, "Smear" und
"Popcorn Superhet Receiver", fanden in Ausschnitten Eingang in There will be Blood - dies war auch
der maßgebliche Grund dafür, dass die Musik nicht für die Oscars 2008 zugelassen wurde.
Einfache Kost ist das wahrlich nicht, was Greenwood seinen Hörern vorsetzt. Expressive von Dissonanzen
durchsetzte Violinsoli, gekonnt eingesetzte Streicher-Pizzikati, ruhiges Klavierspiel
(zum Teil kommt auch das vom Komponisten selbst gespielt Ondes Martenot zum Einsatz) - sie sind alle
Ausdruck und Fanal für die auf eine Tragödie zulaufende Filmhandlung. Angeblich hat
Greenwood unabhängig vom Filmschnitt Unmengen an Musik für den Film komponiert, aus denen sich
Anderson dann einzelne Stücke auswählen konnte. Das erklärt ein wenig die
Wechselhaftigkeit und den eher geringen dramaturgischen Zusammenhang der einzelnen
Stücke, denen allein die von Ausweglosigkeit geprägte Grundstimmung als Bindeglied dient.
Die düstere Atmosphäre wird konsequent bis zum Ende der Komposition durchgehalten. Romantisch-lyrische Oasen
gibt es nicht. Allein ein, zwei eher unscheinbare Motive kehren dann und wann wieder. Dieser Mut zum Experiment
zeichnet die faszinierende Musik aus. Sicher ist There will be Blood keine Vertonung für jedermann. Zu den filmmusikalischen
Highlights des Kinojahres 2007 gehört die ambitionierte Komposition aber in jedem Fall. (mr)
Nonesuch Records 7559-79957-8
BBC Concert Orchestra, Emperor Quartet
Dirigent: Robert Ziegler
33:05 Min.
Filminfo:
Regie: Paul Thomas Anderson
Darsteller: Daniel Day-Lewis
Tracklist:
- Open Spaces (4:00)
- Future Markets (2:44)
- Prospectors Arrive (4:40)
- Eat Him By His Own Light (3:36)
- Henry Plainview (4:14)
- There Will Be Blood (2:08)
- Oil (3:04)
- Proven Lands (4:49)
- HW/Hope of New Fields (2:29)
- Stranded the Line (2:20)
- Prospectors Quartet (2:56)