Elemente des Minimalismus fand man in der Filmmusik der letzten zwei
Jahrzehnte immer häufiger. Neben Wojciech Kilar und Philip Glass war es vor
allem der Brite Michael Nyman, der diese Stilrichtung ins Kino gebracht hat.
Wie die beiden anderen auch, hat er gleichermaßen für den Konzertsaal wie
für die große Leinwand gearbeitet.
Einer breiten Öffentlichkeit wurde Nyman jedoch erst durch seine Filmmusiken bekannt;
zum einen durch Kompositionen für die Filme Peter Greenaways, zum anderen durch den
Beitrag für Jane Campions
Das Piano von 1993.
Eine Retrospektive seines Schaffens bietet nun der zwei CD's umfassende Sampler
The very best of Michael Nyman - Film Music 1980-2001, den Virgin Ende
2001 veröffentlicht hat. Die Kompilation geht von seinen jüngsten Arbeiten zurück bis
hin zu den filmmusikalischen Anfängen in den 80er Jahren.
In der Zusammenarbeit mit dem
Regieexzentriker Greenaway entstanden damals Partituren, bei denen Nyman
für einen Filmkomponisten ungewöhnliche Freiheiten besaß. Ein Großteil
jeder Komposition entstand schon zu einem frühen Zeitpunkt im Produktionsprozeß.
Greenaway war so in der Lage, mit der Musik als Vorlage zu drehen, die damit
also in gewisser Weise den Rhythmus der Bilder vorgab.
Derart entstanden eigentümlich faszinierende Kunstdramen, die aber alles
andere als einfach verständlich sind. Ihnen gemeinsam
ist der enigmatische, anspielungsreiche und visuell überbordende Erzählstil.
Höhepunkte dieses Schaffens sind der Kostümfilm Der Kontrakt des Zeichners und
die experimentelle Shakespeare-Adaption Prosperos Bücher.
Von diesen beiden Filmen, sowie dem skurrilen Episodenstreifen The Falls und dem Drama
Drowning by Numbers zeigen Ausschnitte, wie raffiniert es Nyman verstand, altes
(Material von Purcell, Brahms und Mozart) mit Neuem zu verknüpfen. Er erzeugt zum einen den
filmisch passenden Lokalkolorit, bietet aber zum anderen mit den stilistischen Elementen des Minimalismus
einen spannenden Gegensatz dazu.
Alle Musiken sind für ein kleines Ensemble von bis zu etwa zwanzig Spielern geschrieben.
Typisch für Nyman ist der Einsatz von Streichern und Saxophonen sowie die charakteristische
Rhythmik seiner Partituren.
Die Greenaway-Vertonungen sind wohl die ambitioniertesten
Filmmusiken, die Nyman bislang geschrieben hat. Bis Anfang der 90er Jahre hatte er mit einer
Ausnahme (Der Bauch des Architekten) alle Filme des Regisseurs vertont.
Doch nach Prosperos Bücher (1991) trennten sich beider Wege.
Nyman arbeitete zwangsläufig nun mit anderen Regisseuren zusammen.
Für Das Piano (1993) entstand eine seiner klangschönsten und bislang erfolgreichsten
Tonschöpfungen. Mit über drei Millionen verkaufter CD's war der Soundtrack ein richtiger
Publikumshit. Er zog ein Klavierkonzert nach sich, das auf den Themen der Musik basiert,
und bereits mehrfach eingespielt worden ist.
Eine zweite wichtige spätere Partitur schrieb
Nyman für die spannende Zukunftsvision Gattaca von Andrew McNiccol. In ihr bildet
die melancholische, streicherdominierte Musik einen spannenden Gegensatz zur kühl
durchstilisierten Inszenierung.
Viele andere Vertonungen von Nyman in dieser Phase sind weder für sich genommen noch im Kontext des
Filme ähnlich interessant. Zwar schrieb der Brite für den Regisseur Michael Winterbottom zu
Wonderland und Das Reich und die Herrlichkeit durchaus
klangschöne Soundtracks. Doch zeigt die zweite CD des vorliegenden Virgin-Samplers deutlich,
wie ähnlich, fast austauschbar, dabei manches klingt. Etwa Das Ende einer Äffäre
oder das Schlöndorff-Drama Der Unhold sind im Vergleich blass ausgefallen.
Man merkt diesen Arbeiten deutlich die eingeschränkten Freiheiten des Komponisten an.
Bezeichnenderweise stammt gerade eines der am originellsten orchestrierten Stücke von der
abgelehnten Musik der Fantasykomödie Practical Magic (Deutscher Titel: "Zauberhafte Schwestern"),
bei der Alan Silvestri (The Mummy returns) später als Ersatz verpflichtet wurde.
Wie dieser rare Ausschnitt gehören erfreulicherweise eine ganze Reihe seltenerer Nyman-Filmmusiken zum Programm der
Doppel-CD. Darunter auch die Arbeiten zu einer animierten Version von Das Tagebuch der Anne Frank
aus Japan und die beiden französischen Produktionen A la Folie und Monsieur Hire.
Das Doppelalbum von Virgin bietet auf zwei randvollen CD's (Tracklisting siehe unten) einen
glänzenden Querschnitt durch die Karriere des renommierten Komponisten.
In Gänze durchgehört, sind die rund zweieinhalb Stunden aber dann doch ein wenig ermüdend.
Die Beschäftigung mit Nymans Werk lohnt sich trotzdem. Denn er ist einer der wenigen
Komponisten, dessen Handschrift sich mit kaum einem anderen Filmkomponisten (allenfalls noch Philip Glass)
vergleichen läßt.
Einziger Kritikpunkt an der Zusammenstellung von Virgin ist die mangelhafte Qualität des
Booklets. Auch wenn Nyman jedes Stück einzeln kommentiert, sind diese
Texte wenig informativ und wirken wie aus dem Kontext gerissen.
Ärgerlicherweise fehlt eine genaue Aufschlüsselung, welche Stücke welchem Soundtrack
entstammen. Und ebenso vermißt man biographische Informationen oder
einen ausführlichen Begleittext, der dieser Veröffentlichung angemessen wäre. Manch
Einsteiger in Sachen Nyman mag sich hier doch etwas alleingelassen fühlen.
Insgesamt überwiegen allerdings die Stärken des Inhalts. Sie machen The very best of Michael
Nyman zu einer letztendlich empfehlenswerten Edition. (mr)