William Shakespeares
Der Kaufmann von Venedig gehört zu den
selten gespielten und verfilmten Stücken des Dichters. Dies liegt vermutlich
an den zum Teil nicht unproblematischen antisemitischen Tendenzen der Komödie,
die den jüdischen Geldverleiher Shylock als rachsüchtigen Bösewicht
charakterisiert, der als Strafe für sein kaltherziges Handeln sogar
gezwungen wird, zum Christentum zu konvertieren.
Eine Neuverfilmung des umstrittenen Stoffes muss sich zwangsläufig dieser
Problematik stellen. Michael Radford musste für seine Kinoadaption mit Al
Pacino, Joseph Fiennes und Jeremy Irons in den Hauptrollen viel Kritik
einstecken. Vielleicht zu Unrecht. Denn es erweist sich als Stärke
der Verfilmung, dass sie die Vorlage nicht im Sinne einer fehlgeleiteten
"political correctness" glättet, sondern vielmehr versucht den richtigen
historischen Kontext herzustellen. Dies gelingt mit einleitenden Texttafeln,
die auf den im sechzehnten Jahrhundert in Venedig weit verbreiteten
Antisemitismus und die damit einhergehende Diskriminierung der Juden
hinweisen. Gleichzeitig wird das Handeln Shylocks, seine Trauer und die
Wut über den Verlust der eigenen Tochter und den Niedergang seines
Verleihgeschäfts dem Zuschauer eindringlich nahe gebracht, nicht zuletzt auch
durch das intensive Spiel Al Pacinos. Wenn Shylock am Ende das Gericht
als gebrochener Mann verlässt, mag man sich als Zuschauer kaum für die
eigentlichen Helden des Stückes freuen, empfindet im Gegenteil Mitleid mit
dem alten Mann. Derlei Brüche und Gegensätze sind es, die die
stimmungsvolle Radford-Verfilmung nachhaltig auszeichnen und ihr Tiefe
verleihen. So ist es auch bezeichnend, dass der Film keinesfalls mit der
fröhlichen Euphorie der beiden Hochzeiten endet. In der Schlussszene sehen
wir hingegen die Tochter Shylocks nachdenklich in die Ferne schauen.
Einen derart fatalen Schaden wollte sie dem eigenen Vater mit ihrer Liebesheirat
nicht zufügen.
Der melancholische Tonfall der Filmmusik passt sich dem verhaltenen,
nachdenklichen Gestus des Filmes an. Geschrieben wurde sie von Jocelyn Pook.
Die Britin dürfte dem Leser vielleicht noch als Komponistin der spröden
Vertonung von Stanley Kubricks letztem Film Eyes wide Shut
im Gedächtnis sein. Damals nahm ihre Arbeit nur eine ergänzende Funktion
ein und musste den zahlreichen Source-Stücken viel Platz einräumen.
Dies ist beim Kaufmann von Venedig glücklicherweise anders. Pook entwickelt
hier ein stimmungsvolles atmosphärisches Kolorit, welches das Venedig des
späten 16. Jahrhunderts mit jüdischen Gesängen, klangschönen Vokalisen,
Renaissance-Elementen und Folklore im Stil der Zeit zum Leben erweckt.
Dabei kommen zahlreiche alte Instrumente wie Laute, barocke Gitarre oder
Zink (ein aus den mittelalterlichen Hörnen entwickeltes Instrument; engl.
"cornett") zu Gehör. Als besonders prägnant erweisen sich die lyrischen
Gesangparts, in denen sich die drei Solisten Andreas Scholl, Hayley Westenra
und Clara Sanabras reizvoll zwischen sakral-religiös anmutenden Stücken und
klassischem Kunstlied bewegen.
Thematisch hat die Komponistin neben eigenen Ideen Themen und
Motive aus Renaissance und Mittelalter aufgegriffen. Die Liedtexte basieren
mit einer Ausnahme (ein Text von Edgar Allan Poe) ebenfalls auf zeitgenössischer
Lyrik.
Über weite Strecken erinnert die CD zum Kaufmann von Venedig an Aufnahmen
"alter Musik" wie man sie vom Klassiksektor her kennt. Dabei handelt es
sich aber weniger um eine historische Komposition im strengen Sinne, als eine
edle zeitgemäße Vertonung mit ausgeprägten historisierenden Elementen.
Fernab der ethnischen Beliebigkeit vieler Hollywood-Vertonungen besticht
Jocelyn Pooks Beitrag zum Kaufmann von Venedig als besonders
stimmungsvolle Musik, die nicht nur im Film eine glänzende Figur macht.
Zweifellos eines der bislang schönsten Alben des Jahres. (mr)