David O'Selznicks
Vom Winde verweht braucht man wohl kaum vorzustellen.
Das epische Liebesmelodram nach dem mit dem Pullitzerpreis ausgezeichneten
Roman von Margaret Mitchell gehört zu den ganz großen Klassikern des Unterhaltungskinos und wird auch heute
noch regelmäßig zur besten Sendezeit im Fernsehen ausgestrahlt.
Die Produktion von David O'Selznick unter der Regie Victor Flemings (
The Wizard of Oz) war und bleibt eine Produktion
der Superlative: Der damals teuerste Film überhaupt, vier Stunden Lauflänge, neun gewonnene Oscars
(inklusive Bester Film 1939) und (berücksichtigt man die Inflation) der erfolgreichste Film
aller Zeiten. Allein diese Auflistung verdeutlicht den Ausnahmestatus, den
Vom Winde verweht einnimmt.
Die traurige Liebesgeschichte zwischen Scarlett O'Hara (Vivien Leigh) und Rhett Butler (Clark Gable)
- eines der Traumpaare der Leinwand - vor dem Hintergrund des amerikanischen
Bürgerkrieges bleibt bis heute unvergessen. Ähnlich berühmt ist das nostalgische "Tara"-Thema
(für die gleichnamige Plantage) Max Steiners,
dass einen ähnlichen hohen Bekanntheitsgrad erlangt hat wie das Star Wars-Main Theme
von John Williams. Die Komposition des Österreichers allein auf
dieses zwar dominierende und zweifellos wichtige Thema zu reduzieren, wäre jedoch verfehlt.
Neben "Tara" komponierte Steiner nämlich noch zehn weitere Motive: Es gibt zwei
Liebesthemen (eines für Scarletts "Ashley-Schwärmerei" und eines für Melanie & Ashley). Dazu besitzen
die vier Hauptcharaktere (Scarlett, Rhett, Melanie & Ashley) ebenso ihre eigenen Motive wie die wichtigsten Nebenfiguren
(Scarletts Vater, Mammy, Bonnie und Belle Watling). Zusätzlich verarbeitet Steiner in seiner Musik als
Lokalkolorit traditionelle Folklore, Lieder des Südens und militärische Stücke. So entfaltet sich dem Hörer
ein stimmungs- und reizvolles musikalisches Panorama, das in aller Vielfalt niemals zum
Patchwork gerät.
Steiner schrieb für Gone with the Wind rund drei Stunden Musik, von denen am Ende zweieinhalb
im Film verwendet wurden. Um den Premierentermin am 15. Dezember 1939 in Atlanta
einhalten zu können, stand der Komponist unter hohem Zeitdruck. Dies führte dazu, dass kleinere
Teile der Musik von Hugo Friedhofer, Adolph Deutsch und Heinz Roemheld beigesteuert wurden.
Doch ihr Beitrag bestand hauptsächlich aus Arrangements der Steinerschen Themen.
Ferner wurde auch Musik aus den Archiven - sogenannte "Stock-Music" - verwendet (etwa von
Franz Waxman und William Axt).
Steiners spätromantische Partitur ist ein
Stück nostalgisch-charmanter Kinosinfonik - reich an schönen Melodien, üppig orchestriert und von
hohem Unterhaltungswert. Sie ist wie
der Film weniger ein Meisterwerk als ein zeitloser und überaus populärer Klassiker.
Bei der Oscarverleihung 1940 gehörte Steiner allerdings nicht zu den Gewinnern. Er musste sich Herbert
Stotharts Musik zum Zauberer von Oz geschlagen geben.
Die Originalaufnahme von Rhino:
Genauso überraschend wie erfreulich hat Warner Classics 2002 rund dreißig Titel (im
Bereich Filmmusik & Musical) aus
dem Rhino-Katalog (teilweise erstmalig in Deutschland) zum Mid-Price wiederveröffentlicht. Die in den
Staaten erhältliche Doppel-CD-Box der kompletten Musik von Vom Winde verweht ist zwar
nicht mit dabei, dafür aber eine über siebzigminütige Zusammenstellung der wichtigsten Höhepunkte
auf einer Einzel-CD.
Die Qualität der Lichttonmaster ist erstaunlich. Ein derart sauberes und gut klingendes Mono
hört man selten bei Aufnahmen aus den 30er Jahren. Das Booklet der Veröffentlichung kann sich
ebenfalls sehen lassen. Auf sechzehn Seiten gibt es ausführliche Texte zu Film und Musik. Die
Gestaltung ist in etwa vergleichbar mit den limitierten FSM-CD's aus Amerika.
Die tolle Initiative von Warner verdient Beachtung: Die ebenso preiswerte wie liebevolle
Veröffentlichung sollte sich kein Filmmusik-Liebhaber entgehen lassen.
Die Gerhardt-Neueinspielung von 1974:
Bereits in den 70er Jahren spielte Charles Gerhardt in seiner berühmten
"Classic Film Scores"-Reihe eine knapp 44-minütige Suite aus Gone with the Wind
mit dem National Philharmonic Orchestra ein. Abgesehen von kleinen Ausschnitten auf
diversen Kompilationen ist dieses Album die heute einzige verfügbare Neueinspielung
der Musik. Die von Steiner in den 60er Jahren zusammengestellte rund halbstündige
Konzertsuite liegt derzeit leider nicht auf Tonträger vor.
Ähnlich wie diese Suiten bietet
auch die Gerhardt-Einspielung eine zu komprimierte Fassung der Musik. Es fehlen
nicht nur wichtige Teile wie z.B. die Untermalung der Flucht aus Atlanta; Auch der
reizvolle Lokalkolorit der Source-Stücke geht in der eher konzerthaften Aufnahme praktisch völlig verloren.
Abgesehen davon ist die Gerhardt-Einspielung (wie alle Aufnahmen der Reihe)
exzellent und von vorzüglichem Klang. Das Booklet ist auch hier sehr ausführlich (20 Seiten),
fällt in der Gestaltung aber etwas gegenüber der Rhino-Edition ab. (mr, 2.11.2002)