Der Brite Michael Tippett (1905-1998) war ein sozial und politisch engagierter
Komponist, der sich zeitlebens gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit
eingesetzt hat. Diese Haltung beeinflußte nicht nur seine kritischen,
Solidarität mit den Armen bekundenden Kompositionen. Auch, daß er mit
arbeitlosen Musikern Filmmusiken aufnahm, belegt sein tatkräftiges
Eingreifen über die Stellungnahme als Künstler hinaus.
Die schrecklichen Ereignisse der Reichskristallnacht vom 9. November 1938
inspirierten ihn zu dem Oratorium A Child of our Time - Ein Kind unserer Zeit,
das nun in der von Andre Previn dirigierten Fassung von 1986, wiederveröffentlicht
vorliegt. Eingespielt wurde das dreiteilige Werk für Solisten (Sopran, Tenor, Alt und Bass), Chor
und Orchester vom Royal Philharmonic Orchestra.
Tippett hatte es am Tag des Kriegsausbruches begonnen und zwei Jahre später
fertiggestellt. Der Titel basiert auf dem gegen die Nazis gerichteten Roman
"Ein Kind unserer Zeit" von Odon von Horwarth. Das Libretto sollte zunächst vom
Schriftsteller geschrieben werden. Doch dieser riet Tippett, es selber
zu versuchen. Der junge Komponist schrieb fortan alle Texte seiner Arbeiten
selber.
Im Wechsel von Rezitativen, Arien und Chorstücken orientiert sich das
Werk an den Bachschen Kirchenpassionen und Händels "Messiah". Als Gegenstück
zu den lutheranischen Chorälen stehen allerdings amerikanische Spirituals,
die meist am Ende der Akte stehen. So werden universelle und populäre Lieder
wie "Go down Moses" oder "Steal away to Jesus" verarbeitet.
Im ersten der drei Teile wird eine düstere Zustandsbeschreibung der Welt vorgenommen.
Im zweiten wird ein Mann beschrieben, der mit Gewalt versucht Gerechtigkeit in die
Welt zu bringen und damit großen Schaden anrichtet. Der dritte Akt reflektiert
schließlich die Moral dieser Handlung.
Das tiefempfundene Oratorium verbindet eindrucksvoll klassische Chorwerke mit
modernen Einflüssen. Die wunderschön integrierten Spirituals können dabei besonders
begeistern. Nicht nur Freunden von Oratorien sei Tippetts meisterhaftes Werk
deshalb ans Herz gelegt.
Die vom Royal Philharmonic Orchestra selbst veröffentlichte CD überzeugt mit
exzellenter Klangtechnik und einer bravurösen Einspielung. Eine herbe Enttäuschung
offenbart dagegen das Booklet: Kein Abdruck des Librettos und ein nur sehr kurzer Abriß
der Entstehungsumstände des Oratoriums lassen zu wünschen übrig.
(mr)