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Rezension
"Unvereinbare Seiten"John Williams:
Munich (2005) ****
Gedanken zum Film
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Filmposter |
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Wie festgefahren der Nahostkonflikt wirklich ist, zeigen symptomatisch die
Reaktionen auf Steven Spielbergs Dokudrama Munich.
In dem umstrittenen Spielfilm erzählt der Filmemacher vom Anschlag
islamischer Terroristen auf israelische Sportler bei den Olympischen Spielen
von 1972 und der darauf folgenden Racheaktion, in der Mitglieder des Mossad
inoffiziell bis in die späten 80er Jahre die Drahtzieher des Anschlags verfolgt
haben. Zweifellos ein heißes Eisen, das Spielberg da angefasst hat. Verblüffend,
wenngleich nicht unbedingt überraschend, wurde das Werk in Israel und Palästina
aufgenommen: Kurioserweise warfen nämlich beide Seiten Spielberg Einseitigkeit
und Tatsachenfälschung vor. Vielleicht sind aber genau diese Vorwürfe das größte
Lob für den ambitionierten und beklemmenden, aber ohne Zweifel auch mit
Schwächen behafteten Film - da sie zeigen, wie wenig dieser bereit ist, sich
der einen oder anderen Seite anzubiedern.
Spielberg thematisiert die Sinnlosigkeit des Teufelskreises aus Gewalt
und Gegengewalt, der im Nahen Osten seit Jahrzehnten tobt und ein friedliches
Miteinander unmöglich macht. Um sein Anliegen vorzubringen, entfernt er sich
dafür ein gutes Stück von der belegten Historie, deklariert seinen
Film vorneweg als fiktive Abhandlung über das Attentat von München. Dabei
befindet sich seine Inszenierung viel zu nahe an den realen Geschehnissen, um der Frage
nach der Authentität aus dem Weg gehen zu können - zweifellos der erste
berechtigte Anlass für Kritik. Zum zweiten greift Spielberg für seinen Film auf die
Mittel des modernen Actionkinos zurück. Die ausgiebige Darstellung der Planung und
Ausführung der verschiedenen Vergeltungsschläge nutzt er zu geradezu klassisch
konstruierten Spannungsmomenten, in denen Scheitern und Gelingen der Mission,
aber auch das Leben Unschuldiger oftmals am seidenen Faden hängen. Die
Auswirkungen der Vergeltungsanschläge zeigt der Film freilich in einer expliziten
Realismus, der die Erinnerungen an Kriegsfilme der jüngeren Vergangenheit
wie Black Hawk Down (2001) oder Spielbergs eigenen Soldaten James Ryan (1998)
wach ruft. Wie diese Filme krankt Munich schließlich am Missverhältnis
zwischen der ausgesprochen realistischen Gewaltdarstellung und der
Hollywood-typischen Vereinfachung bei der Schilderung der politischen Hintergründe.
Womöglich weiß Spielberg, dass ein Film wie dieser nur eine Anregung
sein kann, sich mit der Thematik eingehender zu befassen, die Auseinandersetzung mit
der Historie aber keinesfalls ersetzen kann. Wenngleich diese Einschätzung
zutrifft, sind es jedoch gerade die Mechanismen des massenkompatiblen
Unterhaltungskinos, die die Filme des Starregisseurs immer wieder angreifbar
machen.
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Eric Bana (rechts) |
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Seine Stärken beweist Munich hingegen in der konsequenten Schilderung
der fatalen Kettenreaktion, die der Anschlag auslöst. Dazu gehört der Tod
Unschuldiger ebenso wie die psychischen Auswirkungen für die Rächer,
die von Paranoia und Selbstzweifel bis hin zum Suizid reicht. Diese persönliche
Perspektive berührt nachhaltig, weil sie den Menschen hinter den politischen
Schachzügen sichtbar werden lässt und damit den absurden Wahnsinn der
Gewaltspirale eindringlich vor Augen führt. Diese pazifistische
Grundeinstellung, die auch die unversöhnliche Engstirnigkeit beider
Seiten anklagt, war vermutlich der wahre Stein des Anstoßes für viele
Kritiker, die sich eine deutlichere Position zugunsten der einen oder
anderen Seite gewünscht hätten. Eine derart billige Lösung bietet Spielberg
aber nicht. Ob seine Version der Ereignisse nun glaubwürdig ist oder nicht,
ob er zu sehr mit den Methoden des Mainstream-Kinos arbeitet, ist unter
diesem Blickwinkel sogar von zweitrangiger Bedeutung. Dem Regisseur geht
es hier - so utopisch dies erscheinen mag - um die Vision von Aussöhnung und
Frieden in Israel. Dass viele Kritiker diese Zielsetzung verkannt haben und
unter dem Vorwand übertriebener Einwände der notwendigen Auseinandersetzung
mit dem Kern des Filmes aus dem Weg gehen, wirft einen traurigen Blick auf die
Blindheit beider Seiten. Schade nur, dass Spielberg es ihnen unnötigerweise
so leicht macht, seinen Film zu kritisieren. (mr)
CD-Kritik zur Filmmusik
Mit Munich legte John Williams seine vierte und letzte Filmmusik
in 2005 vor. Es war nach War of the Worlds
die zweite Zusammenarbeit mit Steven Spielberg in diesem Jahr. Das erinnert
unwillkürlich an die Kombination Jurassic Park/Schindlers Liste
anno 1993. Dem spektakulären Sommer-Blockbuster folgte damals das ungleich
anspruchsvollere Werk im Winter. Doch ganz so ist es dieses Mal nicht.
War of the Worlds war zwar ein lautes Effektgewitter
in guter Hollywood-Tradition. Doch der Science-Fiction-Reißer war viel zu
düster, um eine Abenteuermusik mit markanten Themen im Stile eines Jurassic Park
zu gestatten. Munich ist wiederum ein viel zu gespaltenes Werk,
um Parallelen zu den Klassizismen von Schindlers Liste zu erlauben.
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Filmauschnitt Munich |
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Während die Komposition einerseits mit feierlichen Adagios und trauernden
Klagegesängen des schrecklichen Attentats von 1972 gedenkt (deren Bilder im
Film immer wieder parallel montiert zu den Racheaktionen zu sehen sind), setzen
herbe, eng mit den Bildern verzahnte, Spannungsuntermalungen einen düsteren
Kontrapunkt. Diese harten Kontraste spiegeln beide Gesichter des Filmes,
erschweren aber zugleich die Rezeption der Musik auf CD. Da hilft es,
sich zunächst an den melodischen Teilen festzuhalten: Lisbeth Scotts
das Attentat betrauernde Vokalise in "Munich" und das elegische Thema für
Avner bilden deren Basis, werden raffiniert durch die unterschiedliche
Instrumentgruppen (von Streichern Cello, Klavier bis hin zu Akkordeon und Gitarre)
getragen. Vor allem das Avner-Thema gehört dabei zu den wunderbaren
melodischen Einfällen, wie sie Williams scheinbar mühelos aus dem Ärmel
schüttelt. Besonders schön und vollmundig wird es in "Prayer for Peace"
von den Streichern dargeboten. Ein weiterer Höhepunkt ist das Arrangement
der Israelischen Nationalhymne (die übrigens auf demselben Volkslied wie
Smetanas berühmte Moldau basiert), das Williams in den eigenen Stil
überträgt und damit bruchlos in die Komposition eingliedert.
Ganz anders freilich die Spannungsvertonungen: Sie hat Williams sparsam und schlank
instrumentiert und behutsam synthetisch verstärkt. Gelegentlich sind sie dezent
mit ethnischen Einflüssen aus dem Nahen Osten gefärbt. Doch davon
abgesehen zieht die kalt wirkende Klangsprache eine scharfe Trennlinie zu
den melodischen Teilen. Herzschlagartig pulsierende Rhythmen (zum Teil
elektronisch), dissonante Orchestereffekte und brodelnde Klangschichten
erlauben dem Hörer kaum markante motivische Anknüpfungspunkte. Nur ganz
selten einmal erklingt quasi als fernes Echo verfremdet das Munich-Thema
- vielleicht eine subtile musikalische Erinnerung an den Ursprung der
unseligen Vendetta. Williams arbeitet hauptsächlich mit kurzen rhythmischen
Motiven, denen er durch stakkatoartige Repetitionen und geschickte Variationen
in der Instrumentierung ein Gefühl lähmender Intensität abgewinnt. Leider
sind diese Stücke von wechselhafter Güte. Gelingt Williams zum Teil
ein raffiniertes Spiel mit präzise konstruierten Rhythmusvariationen,
brodelt die Musik in anderen Momenten wiederum monoton und unentschieden
vor sich hin.
Zweifellos fehlt der Musik ein durchgängiger Spannungsbogen, der die
heterogenen Teile nahtlos miteinander verbinden könnte. Daraus resultiert
zwangsläufig der wechselhafte Eindruck, den die Vertonung hinterlässt.
Darin liegt aber auch eine Stärke, da die eigentümliche, filmbedingte
Konstruktion die gängige Erwartungshaltung an eine neue Williams-Musik
konterkariert. So verwundert es kaum, dass um die Qualität von München
viele kontroverse Diskussionen geführt wurden. Tatsächlich ist die Komposition
kaum eine der besten Arbeiten des Altmeisters der letzten Jahre, dafür sicher
aber eine der interessantesten und vielschichtigsten. (mr)
Decca 987 9142
Dirigent: John Williams
62:44 Min.
Filminfo:
Regie: Steven Spielberg
Darsteller: Eric Bana
Tracklist:
- Munich, 1972 (2:37)
- The Attack at Olympic Village (3:00)
- Hatikvah (The Hope) (2:02)
- Remembering Munich (4:38)
- Letter Bombs (2:48)
- A Prayer for Peace (3:51)
- Bearing the Burden (8:11)
- Avner and Daphna (4:02)
- The Tarmac at Munich (3:59)
- Avner's Theme (3:07)
- Stalking Carl (4:24)
- Bonding (1:57)
- Encounter in London / Bomb Malfunctions (3:37)
- Discovering Hans (2:47)
- The Raid in Tarifa (2:03)
- Thoughts of Home (4:03)
- Hiding the Family (1:25)
- End Credits (4:06)
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