Was macht ein Filmkomponist, wenn er gerade nicht für das Kino tätig ist?
Er schreibt für den Konzertsaal. Für John Williams bietet diese Arbeit immer wieder die Möglichkeit,
sich von den Einschränkungen der Filmmusik zu befreien. In einem Interview hat Williams
kürzlich betont, daß er sich zwar hauptsächlich als Filmkomponist sieht. Nichtsdestotrotz
ist die Zahl seiner Orchesterwerke inzwischen beachtlich.
Dazu gehören eine Symphonie, Cello-, Tuba- und Violinkonzert sowie mehrere Tondichtungen.
Einen Einblick in die für die olympischen Spiele entstandenen Werke liefert der kürzlich
von Sony Classical veröffentlichte Sampler Call of the Champions.
Während diese CD eher den leichten John Williams der Filmmusiken präsentiert, offenbart
die 2001 von der Deutschen Grammophon veröffentlichte CD Tree Song einen Blick
auf den "ernsten" Komponisten.
Im Mittelpunkt stehen drei Werke, die Williams für Orchester und Solovioline geschrieben
hat: die Tondichtung "Treesong" (uraufgeführt im Juli 2000; hier erstmals auf CD veröffentlicht),
das Mitte der 70er Jahre entstandene Violinenkonzert (in der überarbeiteten Fassung von 1998)
und last but not least drei Stücke aus der oscargekrönten Musik zum Holocaust-Drama
Schindlers Liste (1993). Alle drei Stücke werden vom Geiger Gil Shaham interpretiert.
Die Tondichtung Treesong ist einem alten chinesischen Rotholzbaum gewidmet, auf
den Williams bei einem seiner Spaziergänge in Bostoner Park gestoßen ist. Das dreisätzige
Stück ist in seiner lyrischen Verträumtheit eine Art Liebeserklärung an das edle Gewächs.
Die zarten Orchesterklänge von Celesta, Harfe, und Klavier bietet den ausdrucksstarken
Soli von Shahan viel Spielraum. Nur in wenigen Momenten erinnert der dezent
modernistische Treesong an die Filmpartituren des Komponisten. Dies ist meist
immer dann der Fall, wenn das Orchester stärker in den Vordergrund rückt.
Das ebenfalls dreisätzige Violinenkonzert verfaßte Williams im Andenken an seine verstorbene
Frau Barbara Ruick. In der melancholischen Grundstimmung und dem tänzerisch-lyrischen
Geigenspiel ist das postromantische Werk dem Treesong verwandt. Auch hier musiziert
Shaham virtuos und kann mit seinem Spiel begeistern.
Mit den drei Stücken aus Schindlers Liste beschließt das Album mit vertrauten Klängen.
Die Filmmusik zum Spielberg-Film ist im Vergleich zu den vorangegangenen Werken eingängiger
und weniger komplex. Die melancholischen, wehmütigen Melodien dieser inzwischen so berühmten
Komposition sind aber sehr effektvoll und von betörender Schönheit.
Mit dem vorliegenden Album hat die Deutsche Grammophon einen wertvollen Beitrag zur
Williams-Discographie geleistet. Die exzellente Einspielung, tadellose Aufnahmetechnik
und ein informatives wie ausführliches Booklet können begeistern.
Wer nur die Filmmusiken kennt, wird beim Hören überrascht.
Sowohl mit dem Violinenkonzert als auch mit dem Treesong
bewegt sich Williams ein deutliches Stück abseits seiner Kinosinfonik. Radikale
Gegensätze finden sich freilich nicht. Eher füllen die Werke eine Lücke im Gesamtbild
eines faszinierenden Komponisten von enormer Bandbreite. (mr)
Deutsche Grammophon 471 326-2
Boston Symphony Orchestra
Dirigent: John Williams
66:05 Min.
Tracklist:
Treesong (20:09)
- Dr. Hu and the Metasequoia, Dreamily (6:36)
- Trunks, Branches and Leaves, Twice as fast - Deciso (8:25)
- The Tree Sings, Tempo Primo (5:08)
Concerto for Violin and Orchestra (30:08)
- Moderato (11:01)
- Slowly (In peaceful contemplation) (9:47)
- Broadly (Maestoso) - Quickly (9:20)
Three Pieces from Schindler's List (15:48)
- Theme, Lente (4:41)
- Jewish Town (Krakow Ghetto - Winter '41), Andante (4:45)
- Remembrances, Andante (6:22)