Die Liebe der Kinder (Deutschland 2009):
Behutsam nähert sich Regisseur Franz Müller im Beziehungsdrama
Die Liebe der Kinder seinen Figuren. In ruhigen Bildern begleitet er
einen Mann und Frau, die sich über das Internet kennengelernt haben und sich nun verschüchtert beim ersten gemeinsamen Date gegenübersitzen.
Aus dieser ersten Begegnung wird eine ernste Beziehung. Man zieht zusammen mit den fast erwachsenen Kindern zu viert in ein Haus. Doch nach einiger
Zeit beginnt das Paar sich zu entfremden. Die Partnerschaft wird zudem auf die Probe gestellt, als sich die beiden Kinder ebenfalls ineinander
verlieben, heiraten und sogar auswanderrn wollen.
Die Liebe der Kinder erinnert in seiner konventionellen Inszenierung mehr an ein Fernsehspiel denn an eine Kinoproduktion. Der Film glänzt
mit einigen klugen Beobachtungen zur Entwicklung einer Liebesbeziehung von den Schmetterlingen im Bauch bis hin zur Trennung. Leider gerät
aber nicht jedes Detail gleichermaßen glaubwürdig. Wieso etwa die Trennung der Eltern auch zwangsläufig zur Trennung der Kinder führt oder warum die beiden
Jugendlichen, die eigentlich doch für ihr Alter sehr reif wirken, auf die Schnapsidee verfallen, ihre Schule abbrechen und in die Ukraine auswandern
zu wollen - bleibt schwammig motiviert. Auch das optimistische Ende klingt nach der vorher gezeigten Eiseskälte zwischen den Partnern kaum
wahrscheinlich.
Die Liebe der Kinder ist ein ordentlich inszenierter Film, der aber vermutlich im Fernsehen besser aufgehoben wäre als
auf der großen Leinwand.
Army of Crime (Frankreich 2009):
In der Reihe dem Komponisten Alexandre Desplat gewidmeter Filme lief auch das 9-Millionen-Euro teure Kriegsdrama Army of Crime,
das 2009 in den französichen Kinos floppte und daher in Deutschland gar nicht erst gezeigt wird. Robert Guédiguian erzählt in dem aufwändig inszenierten Geschichtsdrama
von dem Kampf der Résistance im von den Deutschen besetzten Paris im zweiten Weltkrieg. Ein filmisches Denkmal für die gefallenen Kämpfer
ist der Film durchaus geworden. Doch über brav bebildertes Geschichtskino kommt Army of Crime selten hinaus. Da kann auch das überzeugende
Darsteller-Ensemble letzendlich wenig retten. Beachtung verdient hingegen die Filmmusik von Alexandre Desplat: Seine kammermusikalische Vertonung
konzentriert sich auf die verschiedenen ethnischen Hintergründe der Freiheitskämpfer. Intime Soli für Duduk, Klarinette oder Streicher
geben dem Film eine intim-melancholische Grundstimmung. Das zurückhaltende lyrische Hauptthema wurde am Abend auch vom Traffic Quinett (siehe unten) in
einer entsprechenden Arrangement dargeboten.
Sin Nombre:
Das mexikanische Flüchtlingsdrama Sin Nombre lief mit großem Erfolg auf dem Sundance Film Festival in Toronto und war nun auch in
Braunschweig zu sehen. Der Debütfilm von Cary Joji Fukunaga steht in der Tradition von City of God sowie Amores Perros und handelt
von Bandenkrieg und Flüchtlingsschicksalen in Südmexiko. Ein Mitglied der berüchtigten Gang Mara Salvatrucha tötet aus Notwehr ein anderes Bandenmitglied
und flüchtet zusammen mit einer Familie, die von Honduras aus Richtung Vereinigte Staaten auf dem Dach eines Zuges reist.
Die in aufwühlenden an Originalschauplätzen gedrehten Bilder liefern ein eindringliches Porträt des Ganglebens, der babarischen Initierungsriten
wie des strengen Verhaltenscodexes, dem alle Mitglieder unterliegen. Zugleich gelingt es Fukunaga, die beschwerliche und gefährliche Reise
der Flüchtlinge in beklemmende Bilder zu fassen.
Sin Nombre ist ein vollgepackter Film, wirkt aber nie überladen. Angeblich hat der Regisseur die Reise seiner Protagonisten selber gemacht und
dabei seine Darsteller gecastet. So oder so: Sin Nombre ist ein aufregender Debütfilm des jungen Filmemachers geworden und zählt zweifellos zu den
der Höhepunkten des diesjährigen Braunschweiger Filmfests. (mr)
Konzert Traffic Quintet - Nouvelles Vagues:
Wie man in der nachmittäglichen "Film Music Master Class" erfahren konnte, ist es ein großes Anliegen des Filmkomponisten Alexandre Desplat,
dass seine Werke auch im Konzertsaal aufgeführt werden. Aus diesem Wunsch ist das Traffic Quintet entstanden, das nun schon seit einigen Jahren
für drei Violinen, ein Cello und einen Kontrabass transkribierte Filmmusiken konzertant aufführt. Entstanden ist die Formation auf Initiative
Dominique Lemonniers hin, die seit Jahren mit Alexandre Desplat bei seinen Filmmusiken zusammenarbeitet.
Die Musik des Traffic Quintets liegt inzwischen auch auf einer bei Naive erschienenen
CD mit dem Titel "Nouvelle Vagues" vor. Und dies war auch das Motto des Konzertabends im kleinen Saal des Braunschweiger Staatstheaters.
Auf dem Programm standen einerseits Filmmusiken des französischen Kinos der 60er und 70er Jahre (etwa Georges Delerues Le Mepris oder
Antoine Duhamels Pierrot le Fou) als auch Werke Desplats (Un héros très discret, Army of Crime etc.) selber.
Die virtuos gespielten Neuinterpretationen der alten und neuen Stücke schlugen das Publikum in ihren Bann. So aufregend kann Filmmusik im Konzertsaal
in Szene gesetzt werden. Die Brücke zur Kunst, die mit Videoprojektionen auf der Leinwand, angestrebt werden sollte, mißglückte allerdings, da die
abstrakten Bilder mit der Musik kaum eine überzeugende Verbindung eingingen. Schade auch, dass die einzelnen Musikstücke weder
im Programmheft noch im Konzert benannt wurden, Wer sich nach dem Konzertbesuch näher mit einzelnen der dargebotenen Filmmusiken beschäftigen möchte, wurde hier
somit leider allein gelassen. Doch eines hat auch auch dieser Konzertabend vermutlich jedem Besucher verdeutlicht, nämlich dass gute Filmmusik mehr sein kann
als nur eine allein filmdienliche Illustration von Bildern. (mr)