Sommer der Sequels
Quo Vadis, Filmmusik? Diese Frage hat sich mir in diesem Jahr häufiger gestellt als in denen zuvor.
2003 war zwar nicht ohne Highlights, aber es gab nur wenige Kompositionen, die auch abseits der Leinwand
rundum überzeugen konnten. Dieser Umstand ist natürlich nicht zuletzt den vielen mittelmäßigen Produktionen aus
der Traumfabrik anzulasten. Ein Jahr mit selbst für Hollywood-Verhältnisse vielen Fortsetzungen
(
Terminator 3,
Matrix 2 &
3, Natürlich Blond 2,
Charlie’s Angels 2, American Pie 3,
Freddy vs. Jason,
Tomb Raider 2, 2 Fast 2 Furious, Bad Boys 2,
X-Men 2,
Das Dschungelbuch 2, Scary Movie 3) liegt hinter uns.

Abgelehnte Musiken
Damit verbunden waren Komponistenwechsel, die oftmals in letzter Sekunde stattfanden. So musste zum Beispiel
Alan Silvestri den Fluch der Karibik verlassen, Craig Armstrongs Musik zu
Tomb Raider 2 wurde abgelehnt, stieß Mychael Dannas Arbeit zu Hulk bei den Produzenten
auf wenig Gegenliebe und Jerry Goldsmiths bereits fertig eingespielter Timeline-Score wurde aufgrund von
Produktionsschwierigkeiten nicht im fertigen Film verwendet. In allen Fällen hatten die übernehmenden Komponisten nur
wenige Wochen Zeit, um einen Ersatz zu liefern. Zeitdruck gab es zwar auch schon im Golden Age der Kinosinfonik
(als eines von vielen Beispielen sei hier nur auf die hektische Musikproduktion beim Klassiker Vom Winde verweht
(1939) verwiesen), doch war dort das handwerkliche Können der Komponisten schlichtweg größer als dass der heute
tätigen Tonsetzer. Deshalb wirkte sich 2003 die Zeitknappheit fast immer auch auf das musikalische Endresultat aus.
Natürlich entstanden deshalb nicht zwangsläufig schlechte, aber eben doch häufig "nur" durchschnittliche und routinierte
Partituren.

Media Ventures macht Schule
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Hans im Glück: Hans Zimmer |
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Die immer kürzer werdende Spanne zwischen dem Ende der Dreharbeiten und dem Kinostart (die sogenannte post production)
hat viele Produzenten umdenken und nach neuen Wegen in der Musikproduktion suchen lassen. Geteilte Arbeitsstätten
wie Hans Zimmers "Media Ventures"-Studio, das eine Vielzahl von Komponisten und Orchestratoren unter einem Dach vereint, erlauben
die schnelle und im kommerziellen Sinne professionelle Abwicklung des Scoring-Prozesses. Anhand der am Computer
erstellten Synthesizer-Demos (vgl.
Gladiator) erhalten Regisseur bzw. Produzenten einen frühzeitigen Eindruck
vom Endprodukt und können gegebenenfalls noch rechtzeitig korrigierend eingreifen. Die vielfältigen Engagements von Media Ventures
in den letzten Jahren belegen die steigende Beliebtheit dieser Arbeitsweise.
Fluch der Karibik - Teamarbeit
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Fluch der Karibik Poster |
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So war es Klaus Badelt und Hans Zimmer in diesem Jahr auch möglich, das in zeitliche Bedrängnis geratene Projekt
Fluch der Karibik zu stemmen. Dafür schuftete die geballte Manpower des Teams rund um die Uhr, aber der zweistündige
Score wurde fristgerecht geliefert - und der Film zum Blockbuster des Sommers. Der Aufschrei in der Filmmusikgemeinde
war groß. Viele hatten sich auf einen klassischen Swashbuckler-Score von Alan Silvestri gefreut und bekamen nun
eine weitere von schablonenhaften Actionstandards durchdrungene Selbstkopie des Hauses Zimmer vorgesetzt.
Dabei ist die Schuld weniger bei Badelt und seinen Helferlein zu suchen als beim Produzenten Jerry Bruckheimer.
Denn dieser wollte ausdrücklich keine "altmodische" Swashbucker-Sinfonik im Stile Korngolds, sondern einen
zeitgemäßeren, poppigen Ansatz. Vielleicht hatte er dabei nur zu gut Renny Harlins Totalflop
Die Piratenbraut mit
der großorchestralen Musik John Debneys vor Augen und wollte nicht in dieselbe Falle tappen. Dies war im Vorfeld - gerade vor dem Hintergrund,
dass die Drehbücher beider Piratenstreifen ähnlich hohl daherkommen - vermutlich eine naheliegende Sorge.
Media Ventures und die Folgen - ein Ausblick
Die Folgen des beschriebenen Vertonungsprozesses - wenn dieser denn langfristig Schule macht- erscheinen für die künstlerische
Qualität der Kinosinfonik allerdings fatal. Der Trend zu standardisierten, billig und schnell heruntergespulten
Vertonungsmustern lässt die Filmmusik immer weiter verflachen. Doch eine solche Entwicklung muss nicht von nachhaltiger
Wirkung sein. Bereits Ende der 70er und in den 80er Jahren waren elektronische Scores von Komponisten wie Giorgio
Moroder wegen ihrer geringen Kosten sehr beliebt, konnten sich aber letztendlich nicht durchsetzen - vermutlich
weil einige Projekte subtilere Lösungen verlangten, als der Einheitsbrei aus dem Rechner liefern konnte. Heute wirken die
Synthie-Arbeiten (und meist auch ihre zugrunde liegenden Filme) wie angestaubte Relikte aus einer anderen Zeit.
Dieses Schicksal mag mit der Zeit auch die Action-Musiken Hans Zimmers & Co ereilen. Bereits jetzt mutet manches ältere Werk
wie
The Rock oder
Backdraft seltsam antiquiert an. Und der immer währende Drang Hollywoods, die gleichen
Inhalte in unterschiedlichem Gewand zu präsentieren, wird langfristig auch nach einem stilistischen Wandel in der Musik verlangen. Ob die Mannen von
Media Ventures und in ähnlicher Art und Weise arbeitende Komponisten tatsätzlich das nötige Talent haben werden, um sich anzupassen,
mag allein die Zeit zeigen.
Altmeister in Form und kleine Überraschungen

Doch zurück zu den wirklichen Highlights des Jahres. Wieder einmal waren es die Altmeister, die für Fuore sorgten.
John Williams begeisterte mit seiner erfrischend jazzigen Musik zur Spielberg-Komödie
Catch me if you can
im Januar und zum Jahresausklang feierte Jerry Goldsmith mit seinem raffinierten Cartoon-Scoring für Joe Dantes
Looney Tunes - Back in Action ein glänzendes Comeback. Howard Shore brachte seine
Ring-Trilogie in der bewährten Leitmotivik zuende und konnte sich dabei gegenüber
den zwei Türmen
mit
Die Rückkehr des Königs wieder ein kleines bisschen steigern. Damit endet für ihn nun
(von der Arbeit für die Langfassung des dritten Teils abgesehen) ein Großprojekt, das ihm die vergangenen drei Jahre
beschäftigt hat. Doch neue Taten zeichnen sich mit Martin Scorseses
The Aviator und Peter Jacksons
King Kong
bereits am Horizont ab. Und wer weiß, vielleicht wartet in weiter Ferne ja noch ein kleiner Hobbit...
Positive Überraschungen kamen dieses Jahr endlich auch mal wieder aus heimischen Landen. Marcel Barsotti schuf
zum nostalgischen Fußball-Familienfilm Das Wunder von Bern einen charmanten und
einfühlsamen Score, dem selbst in den Actionszenen des Finales nicht die Luft ausgeht. Für die europäische Koproduktion
Luther (mit deutscher Beteiligung) schuf der Brite Richard Harvey eine der schönsten
Partituren des Jahres, indem er geschickt seine Erfahrungen in Sachen alter Musik einsetzte. Seine Arbeit verknüpft
elegant mittelalterliche Folklore (auf alten Instrumenten) mit sakralen Chorälen und schönem Streicherwohlklang.
Ähnlich tief arbeitet sich auch Jeff Danna in die ethnischen Ursprünge alter Musik an - für den dreistündigen
Bibelschinken The Gospel of St. John (Kritik folgt). Das Ergebnis fiel nicht minder überzeugend aus und zählt
ebenfalls zu den Höhepunkten des Jahres.

Computercrash - Matrix abgestürzt
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Filmposter Matrix Revolutions |
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Wer hätte am Anfang des Jahres noch gedacht, dass im Dezember aber auch wirklich kaum einer noch die Fahne
der Wachowski-Brüder hochhalten würde. Nachdem
Matrix Reloaded mit spektakulären
Actionszenen und vielen offenen Fragen noch die Erwartungen an den Abschluss der Trilogie schürte, wurde
Matrix Revolutions zum künstlerischen Offenbarungseid. Konzeptlos, pathetisch,
klischeehaft und peinlich - bis auf hartgesottene Fans wurden hier die meisten Kinogänger schnell vergrault.
Ganz spurlos ist der Crash auch an den Musiken von Don Davis nicht vorübergegangen. Die Modernität und die
Experimentierfreude seines
ersten Scores wich in den Fortsetzungen weitgehend handwerklich sauberen, aber doch
letztlich eher routinierten Actionstandards.
Ein Oscar für Elliot Goldenthal
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Ein Oscar für Goldenthal - Frida |
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Im März gab es im Kodak Theatre von Los Angeles eine faustdicke Überraschung in Sachen Filmmusik. Nicht
Elmer Bernsteins als sicherer Favorit geltendes Alterswerk zu
Far From Heaven,
sondern Elliot Goldenthals
Frida, eine für ihn eher ungewöhnliche - da sehr
eingängige - Komposition wurde ausgezeichnet. Die lateinamerikanischen Rhythmen seiner Musik erwiesen
sich als besonders massentauglich und verkauften sich auf CD prima. Man mag Goldenthal diesen Erfolg
gönnen, wobei
Frida aber kaum seine wichtigste Filmmusik darstellt.
Trauer um Michael Kamen (1948-2003)
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Verstorben: der Komponist Michael Kamen |
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Im Alter von nur 55 Jahren verstarb am 18. November der beliebte Filmkomponist Michael Kamen an Multiples Skleroses.
Kamen hatte sich in der Filmmusikszene seit den 80er Jahren durch seine Beiträge zu den
Lethal Weapon- und
Die Hard-Reihen,
aber auch Produktionen wie
Robin Hood - Prince of Thieves (1991),
Mr. Holland's Opus (1995) oder
Band of Brothers (2001) einen Namen gemacht. Sein viel zu früher Tod - Kamen hinterlässt Frau und zwei Kinder -
zeigt auf bedrückende Art und Weise einmal mehr den Menschen hinter dem Komponisten - ein Umstand, den viele
Fans in Erwartung immer neuer CDs gerne vergessen und in den Hintergrund drängen.
Altes und Neueingespieltes

Liebhaber des Golden und Silver Age brauchten auch 2003 einen gut gefüllten Geldbeutel, um alle
Perlen zu erwerben. Unter den zahlreichen Veröffentlichungen stechen besonders die FSM-CDs
zu Miklós Rózsas
Plymouth Adventure,
Kinights of the round Table, zu Leonard Rosenmans
12-Tonmusik
The Cobweb, Bernard Herrmanns
On Dangerous Ground und Jerry Goldsmiths
Westernmusik
Wild Rovers heraus. Auch im CD-Club von Varèse Sarabande gab es einige Highlights:
die wohl wichtigsten darunter: Alfred Newmans
The Robe, Franz Waxmans
The Story of Ruth und
Elmer Bernsteins
Hawaii. Dazu beeindruckten auch dieses Jahr die Neuaufnahmen, allen voran
Joel McNeelys brillante Einspielung von Herrmanns Sciencefiction-Vertonung zu
The Day the Earth stood still und die
wie immer feinen Alben des Teams Morgan/Stromberg für Marco Polo, etwa Tiomkins
Red River (1948)
oder Korngolds
The Adventures of Robin Hood.
Großes Bedauern löste deshalb John Morgan im US-Forum des Magazins FSM aus, als er kurz vor Weihnachten verkündete, dass die Reihe
offenbar vor dem Ende stehe. Finanzielle Gründe, aber auch Streitereien um die Rechte für die Verwendung des Bildmaterials
der Filme würden die Zukunft der Filmmusikreihe ungewiss machen. Zuvor hatte bereits der Schweizer Dirigent
Adriano Marco Polo verlassen. Sein Abschiedsprojekt wurde das Shostakovich-Double The Fall of Berlin/The Unforgettable Year 1919.
Zwar ist noch keine endgültige Entscheidung gefallen, aber wenn man die verschiedenen Andeutungen Morgans richtig versteht,
sieht es wohl düster aus.

Zum Abschluss ein Ausblick
Auch wenn noch längst nicht jede Perle der Filmmusik gehoben wurde, der Markt wird enger und härter umkämpft.
Zahlreiche Initiativen unterschiedlicher Labels buhlen um die Gunst des Käufers, der letztendlich Nutznießer
ist, aber auch Gefahr läuft in der Flut der Neuerscheinungen den Überblick zu verlieren. Ob der Markt so
viel Platz bietet, wie es derzeit Labels gibt, erscheint zweifelhaft. Wenn man sieht, wie wenige der limitiert
in einer Auflage von maximal 3000 Exemplaren veröffentlichten CD-Editionen bislang ausverkauft wurden, stimmt
dies nachdenklich. Auch die rückläufige Anzahl der - zugegeben kostspieligen und risikobehafteten
Neueinspielungen - spricht eine eindeutige Sprache.
Dass der Filmmusikmarkt indes von Internettauschbörsen und gebrannten CDs bedroht ist, scheint fragwürdig,
handelt es sich doch um einen Sammlermarkt, in dem liebevoll gefertigte Editionen mit ansprechenden Booklets
häufig den Kauf des Originals belohnen. Und wer in dieser kleinen Szene noch in großem Maßstab illegal kopiert,
schneidet sich - bei allem berechtigten Protest gegen manche seltsame Praktiken der Plattenfirmen - selber ins Bein.
Ohne die finanzielle Unterstützung für liebevolle und ambitionierte Projekte à la FSM, Intrada, SAE oder BYU
könnten diese schnell zur bedrohten Art werden. Und das wäre schade, denn ohne sie wäre die Filmmusikwelt bedeutend
ärmer. Aber solange sich die CDs gut absetzen, werden wir auch in den kommenden Jahren mit schönen
Veröffentlichungen erfreut. (mr)